Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 27.) 103
Taten in Krieg und Frieden erfüllten Regierung das heutige Preußen ge—
schaffen und das Streben unseres Volkes nach nationaler Einheit verwirk-
licht. Mein in Gott ruhender Vater hat mit derselben Pietät, welche Mich
ihm gegenüber beseelt, nach seiner Thronbesteigung sich in den öffentlichen
Urkunden, welche sein politisches Vermächtnis darstellen, die Politik und die
Werke Meines verewigten Großvaters angeeignet, und Ich bin entschlossen,
ihm auf diesem Wege zu folgen auf dem Gebiete der Regierung Preußens
wie auf dem der Reichspolitik. Wie König Wilhelm I. werde Ich Meinem
Gelöbnisse entsprechend treu und gewissenhaft die Gesetze und die Rechte der
Volksvertretung achten und schützen und mit gleicher Gewissenhaftigkeit die
verfassungsmäßigen Rechte der Krone wahren und ausüben, um sie dereinst
Meinem Nachfolger auf dem Throne unverkümmert zu überliefern. Es liegt
Mir fern, das Vertrauen des Volkes auf die Stetigkeit unserer gesetzlichen
Zustände durch Bestrebungen nach Erweiterung der Kronrechte zu beunruhigen.
Der gesetzliche Bestand Meiner Rechte, so lange er nicht in Frage gestellt
wird, genügt, um dem Staatsleben das Maß monarchischer Einwirkung zu
sichern, dessen Preußen nach seiner geschichtlichen Entwicklung, nach seiner
heutigen Zusammensetzung, nach seiner Stellung im Reiche und nach den
Gefühlen und Gewohnheiten des eigenen Volkes bedarf. Ich bin der Mei-
nung, daß unsere Verfassung eine gerechte und nützliche Verteilung der Mit-
wirkung der verschiedenen Gewalten im Staatsleben enthält, und werde sie
auch deshalb und nicht nur Meines Gelöbnisses wegen halten und schützen.
Dem Vorbilde Meiner erhabenen Ahnherren folgend, werde Ich es
jederzeit als eine Pflicht erachten, allen religiösen Bekenntnissen in Meinem
Lande bei der freien Ausübung ihres Glaubens Meinen königlichen Schutz
angedeihen zu lassen. Mit besonderer Befriedigung habe Ich es empfunden,
daß die neuere kirchenpolitische Gesetzgebung dazu geführt hat, die Beziehungen
des Staates zu der katholischen Kirche und deren geistlichem Oberhaupte in
einer für beide Teile annehmbaren Weise zu gestalten. Ich werde bemüht
sein, den kirchlichen Frieden im Lande zu erhalten.
Die Reform der inneren Verwaltung ist in der letzten Session des
Landtages in der Hauptsache zum Abschluß gebracht worden. Die Durch-
führung der neuen Gesetzgebung hat den Beweis dafür geliefert, daß der
Gedanke der ehrenamtlichen Selbstverwaltung in das lebendige Bewußtsein
der Bevölkerung übergegangen ist, und daß sich die geeigneten Kräfte bereit-
willig in den Dienst des öffentlichen Wohles gestellt haben. Es ist Mein
Wille, an dieser wertvollen Errungenschaft festzuhalten und durch Ausge-
staltung und Festigung der neuen Institutionen dazu beizutragen, daß die-
selben in ihrer erfolgreichen Wirksamkeit dauernd erhalten bleiben. Ich halte
in dem Finanzwesen an den altpreußischen Überlieferungen fest, welche den
Wohlstand des Landes begründet und den Staat auch in schweren Zeiten zur
Erfüllung seiner Aufgaben befähigt haben. Mit Befriedigung darf Ich auf
die Finanzlage des Staates blicken, wie Ich dieselbe Dank der Fürsorge
Meiner Vorfahren an der Krone bei Meinem Regierungsantritte vorfinde.
Diese günstige Lage des Staatshaushaltes hat gestattet, mit der Erleichterung
der Steuern der Gemeinden und der minderbegüterten Volksklassen einen
erfolgreichen Anfang zu machen. Es ist Mein Wille, daß dieses Ziel weiter
verfolgt werde und daß in gleicher Weise dringliche Bedürfnisse, welche bis-
her wegen der Unzulänglichkeit der vorhandenen Mittel haben zurückgestellt
werden müssen, demnächst ihre Befriedigung finden. Die verheerenden Über-
schwemmungen, von welchen in diesem Frühjahre weite und fruchtbare Teile
des Landes heimgesucht worden sind, beanspruchen meine volle Teilnahme.
Durch die Bereitwilligkeit, mit welcher Sie reiche Mittel bewilligt haben,
ist Meine Regierung in den Stand gesetzt worden, viele der geschlagenen