Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli Mitte.) 111
bedeute nichts anderes als die verblümte Erklärung, mit dem Freisinn gegen
die Konservativen zu marschieren.
Gegen diese Auslassung wendet sich die „Nordd. Allg. Ztg.“
in einem längeren Aufsatz. Sie sagt:
Der Umstand allein, daß die nationalliberale Parteileitung die Er-
neuerung des für die letzten Reichstagswahlen abgeschlossenen Kartells für
die Landtagswahlen bisher beanstandet hat, kann unseres Dafürhaltens eine
genügende Erklärung für das Auftreten des Herrn v. Rauchhaupt nicht ab-
geben, zumal bisher aus keinem Wahlbezirke verlautet hat, daß die National-
liberalen den Konservativen das Mandat streitig zu machen versucht hätten,
während das Umgekehrte von verschiedenen Seiten berichtet worden ist. Wir
können daher die Stellungnahme des Herrn v. Rauchhaupt nur auf die
Haltung zurückführen, welche er bei den noch in frischer Erinnerung befind-
lichen Verhandlungen über das Schullastengesetz eingenommen hat. Es konnte
keinem unbefangenen Beurteiler entgehen, daß das Verfahren des Herrn
v. Rauchhaupt schon damals dazu führen mußte, zwischen die drei Parteien,
welche bisher in fast allen wichtigen Fragen zusammengestanden hatten, einen
Keil zu treiben und die konservative Partei von neuem in das Lager des
Zentrums herüberzuführen. Der Versuch mißlang, da bei der entscheidenden
Abstimmung die weitaus größere Anzahl der Konservativen ihren Führer
im Stich ließ und in Gemeinschaft mit den Freikonservativen und National-
liberalen das stark gefährdete Gesetz glücklich unter Dach und Fach brachte.
Es scheint fast, als ob Herr v. Rauchhaupt den jetzigen Augenblick für ge-
eignet hält, den mißlungenen Versuch zu erneuern und sich der ihm unbe-
quemen Bundesgenossenschaft der nationalliberalen Partei zu entledigen. Hier-
für spricht insbesondere die freudige Zustimmung, welche das Vorgehen des
konservativen Führers bei der „Germania“ und der „Kreuzzeitung“ gefunden
hat. Ruft doch letztere mit Frohlocken aus: „Wo ist im Abgeordnetenhause
noch ein gemeinsamer Boden für ein ersprießliches Zusammenwirken der kon-
servativen und der nationalliberalen Partei?"
Wir verzichten darauf, mit der „Kreuzzeitung“ über die Nützlichkeit
und Notwendigkeit des Kartells in Erörterungen einzutreten. In kleinlicher
Parteipolitik befangen, hat dieses Blatt schon längst den Blick für die wahren
Interessen des Vaterlandes verloren. Das Bündnis mit dem jeder staatlichen
Autorität widerstrebenden Zentrum ist seiner politischen Weisheit letzter
Schluß und in tiefgewurzeltem Hasse gegen alle, die nicht ihren spezifisch
kirchlichen Standpunkt teilen, scheut die „Kreuzzeitung“ nicht davor zurück,
zur Bekämpfung der nationalen Elemente in der Provinz Hannover auf die
Hilfe der Welfen zu rechnen, trotzdem dieses Liebeswerben auf seiten der
letzteren nur Spott und Hohn gefunden hat.
Anders verhält es sich mit Herrn v. Rauchhaupt. Herr v. Rauch-
hauft ist der anerkannte Führer der konservativen Partei im Abgeordneten-
hause. In dieser Eigenschaft liegt ihm die Verpflichtung ob, die Auffassungen
nicht eines kleinen Bruchteils, sondern der Gesamtpartei zu vertreten. Die
Auffassung der konservativen Partei in ihrer Totalität geht aber nicht da-
hin, mit der nationalliberalen Partei zu brechen, sondern im Gegenteil mit
derselben zu einer Verständigung zu gelangen. Wenn daher Herr v. Rauch-
haupt im Widerspruche hiermit in seiner neuesten Veröffentlichung offen-
kundig dazu beiträgt, die naturgemäß zwischen verschiedenen Parteien vor-
handenen Gegensätze bis zu einer unüberbrückbaren Kluft zu erweitern, so
kann er nicht als der berufene Vertreter der konservativen Partei angesehen
werden.
Die „Kreuzzeitung“ bezeichnet die Äußerung der „Nordd.