Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (August 27.—31.) 121 
Wir können mit einem Boulangistischen Frankreich ebenso gut in Eintracht 
leben wie mit einem Bonapartistischen; es ist zum mindesten fraglich, daß 
General Boulanger, falls derselbe zu gesteigertem Einfluß kommen sollte, 
denselben in antideutschem Sinne verwerten werde, und es ist im Gegenteil 
in hohem Grade wahrscheinlich, daß der General vorsichtig vermeiden werde, 
eine errungene hohe Stellung den unberechenbaren Zufällen eines Krieges 
preiszugeben. Wir sind nach allem, was General Boulanger in jüngster 
Zeit gesagt und geschrieben hat, berechtigt, ihn für friedfertig zu halten und 
wenn wir darin auch keine sichere Bürgschaft für die Aufrechterhaltung des 
Friedens erblicken, so sind wir uns doch ganz klar darüber, daß es bei der 
augenblicklich in Frankreich herrschenden Stimmung überhaupt keine fran- 
zösische Regierung gibt oder geben kann, die uns in dieser Beziehung voll- 
ständig beruhigen würde. Aber General Boulanger beunruhigt uns sicherlich 
nicht mehr als irgend ein anderer, und wenn er hält, was er versprochen 
hat, wenn es ihm gelingt, Ruhe und Ordnung in Frankreich herzustellen, 
so werden seine Erfolge uns und ganz Europa scherlich willkommen sein.“ 
27. August. Besuch Kaiser Wilhelms beim König von Sachsen 
in Dresden. 
28. August. (Kaiser Wilhelm und die Judenfrage.) 
Die „Berliner Börsen-Zeitung“ teilt mit, der Kaiser habe kürzlich 
gegenüber einem vielgenannten jüngeren Staatsmanne sich dahin 
ausgesprochen, daß er nur Freunde und Gegner des Vaterlandes 
kenne, und daß niemand ihm zutrauen werde, das Rad der Zeit 
zurückschrauben zu wollen. Es sei der Stolz der Hohenzollern, über 
das edelste, gereifteste und gesittetste Volk zu regieren. In dieses 
Lob schließe er Alldeutschland ein. Unsere ganze Gesetzgebung sei 
von humanen Grundanschauungen diktiert. Wer dies verkenne und 
die Geister gegen einander hetze, habe auf seinen (des Kaisers) Bei- 
fall nicht zu rechnen. „Es gibt wahrlich ernsteres zu tun“, schloß 
der Kaiser. 
28. August. (Attentat.) Ein Individuum namens Gar- 
nier macht in der deutschen Botschaft in Paris einen Mordversuch 
auf einen Beamten, ohne ihn zu verletzen. Garnier wird nach 
langer Untersuchung für irrsinnig erklärt. Der Regierung nahe- 
stehende deutsche Blätter weisen mehrmals scharf darauf hin, daß 
die Untersuchung lässig geführt werde und die französische Regierung 
es nicht für nötig gehalten, der deutschen ihr Bedauern über den 
Vorfall auszusprechen. 
29. August. v. Bennigsen wird zum Oberpräsidenten von 
Hannover ernannt. 
31. August. (Taufe) des Sohnes des Kaisers Wilhelm. Er 
erhält die Namen Oskar, Karl, Gustav Adolf. Als Taufpaten sind 
anwesend der König von Schweden und die Königin von Sachsen, 
geb. Prinzessin von Wasa.
	        
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