Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 19.—20.) 131 
kreisen, wo dies noch nicht geschehen sein sollte, die Vorbereitungen für die 
Wahlen zu beginnen, Wahlvereine zu bilden, durch Wort und Schrift die 
Wähler über die Bedeutung der Wahlen aufzuklären, geeignete Kandidaten 
aufzustellen und nichts zu versäumen, um den Sieg der von uns vertretenen 
Sache zu sichern. 
19. September. (Prof. Harnack.) Der „Reichsanzeiger“ ver- 
öffentlicht die Versetzung des Professors der Kirchengeschichte, Harnack, 
aus Marburg nach Berlin. Derselbe war von der theologischen 
Fakultät vorgeschlagen, aber vom Oberkirchenrate als Vertreter 
der Ritschlschen Theologie verworfen worden. Der Kultusminister 
brachte darauf die Sache ihrer prinzipiellen Bedeutung wegen an 
das Staatsministerium, welches entschied, daß der Einspruch des 
Oberkirchenrats nicht zu berücksichtigen sei. 
20. September. Wahlaufruf der freikonservativen 
Partei: 
Nach schwerer Zeit wird das preußische Volk zur Neuwahl seiner 
Vertretung auf fünf Jahre berufen. Kaiser Wilhelm I., der Begründer der 
deutschen Einheit, Kaiser Friedrich III., sein vornehmster Mitstreiter, sind 
heimgegangen. Aber die Bahnen, welche sie ihrer Politik im Reiche und in 
Preußen vorgezeichnet haben, werden nach den erhabenen Kundgebungen Kaiser 
Wilhelms II. auch weiter verfolgt werden, und die Innigkeit und Festigkeit 
der Verbindung zwischen Herrscherhaus und Volk, welche in den Tagen der 
Trauer so erhebend sich kund gab, erfüllt mit voller Zuversicht in die Zukunft. 
Mit festem Vertrauen in die gedeihliche Entwicklung unseres Staats- 
lebens tritt die freikonservative Partei daher in die Wahlen ein. 
In der verfassungsmäßigen Abgrenzung der Rechte der Krone und 
des Volkes und seiner Vertretung erkennen auch wir eine gerechte und nütz- 
liche Verteilung der Mitwirkung der verschiedenen Gewalten im Staatsleben 
und erachten es als die Aufgabe einer monarchischen und konstitutionellen 
Partei, die verfassungsmäßigen Rechte der Krone wie des Volkes und seiner 
Vertretung gleichmäßig zu wahren und gegen jeden Angriff zu verteidigen. 
Der Abschluß der Reform der inneren Verwaltung sichert die Durch- 
führung der bewährten Grundsätze der Selbstverwaltung, Dezentralisation 
und Rechtskontrolle für den ganzen Umfang der Monarchie und schafft Raum 
für dringliche Reformen in den kommunalen Verhältnissen des flachen Landes, 
namentlich in den sieben östlichen Provinzen. 
Organisation und, soweit nötig, Neubildung leistungsfähiger Träger 
der wichtigsten kommunalen Aufgaben, gleichmäßige und gerechte Verteilung 
der öffentlichen Lasten, Bemessung der Rechte nach den Leistungen und Pflich- 
ten, Zusammenwirken aller Kräfte in gemeinnütziger Selbstverwaltung nach 
dem Vorbild der Kreisordnung sind die Ziele, welche wir verfolgen. Bei 
ihrer Verwirklichung wird die Verschiedenheit der historischen Entwicklung 
und der sozialen Verhältnisse in den einzelnen Landesteilen voll zu berück- 
sichtigen sein. 
Mit der Durchführung dieser Reformen wird zugleich auch die Über- 
weisung der Grund= und Gebäudesteuer an kommunale Verbände und damit 
die Beseitigung der Überbürdung mit kommunalen Zuschlägen zu diesen 
Steuern ermöglicht werden. 
Die Fortsetzung der Reform der direkten Steuern im Sinne aus- 
gleichender Gerechtigkeit unter Erleichterung der minder Leistungsfähigen, na- 
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