Das deusche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sepi. Ende -—Okt. Mitte.) 139
ein wertvolles Besitztum des Volkes und der Dynastie bildet, und vor der
Entstellung bewahrt werden sollte, mit welcher diese anonyme, im Interesse
des Umsturzes und des inneren Unfriedens erfolgte Veröffentlichung in erster
Linie sich gegen den Kaiser Friedrich richtet.
In diesem Sinne bitte ich Ew. Majestät ehrfurchtsvoll, mich huld-
reich ermächtigen zu wollen, daß ich dem Justiz-Minister Allerhöchst dero
Aufforderung zugehen lasse, die Staatsanwaltschaft zur Einleitung des Straf-
verfahrens gegen die Publikation der „Deutschen Rundschau“ und deren Ur-
heber anzuweisen. von Bismarck.
An Se. Majestät den Kaiser und König.
30. September. Der Geheime Justizrat Professor Dr. Geffcken
wird wegen Verdachtes, das Tagebuch des Kronprinzen an die
Deutsche Rundschau eingesandt zu haben, bei seiner Rückkehr aus
Helgoland am Bahnhofe in Hamburg verhaftet. Geffcken hatte sich
selbst den Gerichten gestellt.
Nach der Veröffentlichung des Immediatberichts des Reichs-
kanzlers wird der Angriff der Kartellpresse gegen die Publikation
ein allgemeiner. Die freikonservative „Post“ vergleicht in einem
Artikel über das Tagebuch Kaiser Friedrich mit Josef II. Beide
seien idealgesinnte, aber auch sehr unglückliche Fürsten gewesen,
weil ihr staatsmännisches Können nicht mit ihrem hochfliegenden
Wollen Schritt hielt. Dagegen erscheine des Fürsten Bismarck
Staatskunst im schönsten Lichte. Und in einem zweiten Artikel
bemerkt sie,
„daß (nach den Eröffnungen des Reichskanzlers) auch soweit der Ver-
öffentlichung etwa Aufzeichnungen Kaiser Friedrichs zu Grunde liegen mögen,
diesen die Bedeutung einer autoritativen Geschichtsquelle aus dem Grunde
nicht beiwohnt, weil der damalige Kronprinz bedauerlicherweise in die poli-
tischen Verhandlungen nicht eingeweiht werden konnte und daher der voll-
ständigen Kenntnis des Zusammenhanges der Dinge entbehrte. Sicher wird
es dem Kanzler die schwerste Überwindung gekostet haben, die allen irgend
Sachkundigen längst bekannten Gründe, welche lange schon vor 1870 dazu
genötigt hatten, den damaligen Kronprinz über die intimen Fragen der
preußisch-deutschen Politik nicht ins Vertrauen zu ziehen, wie den besonderen
rund anzugeben, welcher in dem vorliegenden Falle verstärkend hinzukam.
Selbst aber auf die Gefahr, durch die Bekundung beklagenswerter Schwächen
das Andenken Kaiser Friedrichs zu schädigen, mußte im Interesse des Reiches
der Wahrheit die Ehre gegeben und zugleich gezeigt werden, daß der da-
malige Kronprinz, weit davon entfernt, der Urheber, oder auch nur der
tätige Förderer der Einheit Deutschlands unter dem Kaisertum der Hohen-
zollern zu sein, eines der schwersten Hindernisse für die Verwirklichung des
Einheitsgedankens und der Kaiser-Idee bildete. Wir beklagen es tief, daß
diese Dinge im Interesse Kaiser Friedrichs und seines Andenkens nicht weiter
verschwiegen bleiben konnten; wenn es aber im Interesse des Reiches darauf
ankam, die Aufbauschung des Tagebuches zu einer Geschichtsquelle ersten
Ranges, den Inhalt desselben als auf der vollen Autorität eines bis ins
kleinste unterrichteten hervorragenden Teilnehmers an der politischen Aktion
Preußens beruhend, entgegenzutreten, so war dies so unvermeidlich, wie