150 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 17.)
ein Ergebnis seiner blutigen Siege sichergestellt werden konnte. Die Be-
sorgnis vor neutraler Einmischung, welche damals den Kaiser Wilhelm und
seinen politischen Ratgeber notwendig erfüllen mußte, ist an die politischen
Freunde des damaligen Kronprinzen nicht herangetreten. Dieselben haben
sich von der Möglichkeit eines europäischen Veto niemals Rechenschaft ab-
gelegt. Ebensowenig fand unter ihnen eine auf Verständnis der Vorgeschichte
begründete Erwägung der Gefahren statt, welche eine Zukunft deutscher Neu-
bildung bedroht haben würden, die nicht auf vollem Einverständnis aller
zum Mitsprechen geschichtlich und militärisch berechtigten deutschen Elemente
beruht haben würde. Unter den Ratgebern, welche sich damals unberufen
an den Erben der deutschen Kaiserherrlichkeit drängten, befanden sich viele
theoretische, aber kaum ein praktischer Politiker; es wäre sonst unmöglich
gewesen, für den Fall des Widerstrebens der süddeutschen Staaten gegen den
Eintritt in den norddeutschen Bund Gewaltmaßregeln nicht nur gegen die
Fürsten, sondern auch gegen deren Streitkräfte in Frankreich überhaupt zu
diskutieren. Ein deutsches Reich, welches in der freiwilligen Mitwirkung
aller Stämme und Dynastien, wie sie sich auf dem letzten Reichstage betätigt
hat, die feste Basis der Einheit fand, wäre schon durch den Verdacht gewalt-
tätiger Pression gegen Bundesgenossen unmöglich geworden und der latente
Bürgerkrieg, das Welfentum übertragen auf 10 Millionen süddeutscher Lands-
leute, würde das Ergebnis einer unehrlichen Gewalttat gewesen sein. Aus
ihr hätte eine nationale Entwickelung des Kaisertums niemals hervorgehen
können, selbst wenn die Gewalttat gelungen wäre. Die Behauptung, daß
Kaiser Friedrich den in dieser Richtung liegenden Gedanken ernstlich Audienz
gegeben habe, tritt in den Auszügen des Tagebuches zum ersten Male unter
Berufung auf urkundlichen Beweis in die Öffentlichkeit.
Es ist eine wunderliche Erscheinung, daß gerade die bisherigen Gegner
monarchischer Einflüsse ihre nur aus dem Kampfe gegen alles „Bestehende“
hervorgehende Gegnerschaft mit dem Namen eines Monarchen, dem des Kai-
sers Friedrich, zu decken bemüht sind. Sie glaubten offenbar, an diesem
Herrn die Eigenschaften gefunden zu haben, welche alle Gegner des Bestehenden
stets an einem Monarchen zu schätzen wissen. Daß sie sich auch in Bezug
auf Kaiser Friedrich hierin im Irrtum befanden, würde ihnen klar geworden
sein, wenn diesem Herrn eine längere Regierung von Gott beschieden worden
wäre. Nur die Tatsache, daß diese Regierung so kurz war, setzt die Reichs-
feinde in den Stand, die Behauptung aufzustellen, daß dieselbe ihnen eine
Handhabe geboten haben würde, den Bestand des Reiches zu erschüttern.
Die Fortsetzung der Regierung des dahingeschiedenen Herrn würde sie ebenso
wie die Ergebnisse der Entwickelung von 1858—1862 überzeugt haben, daß
ein König von Preußen und ein deutscher Kaiser mit den Grundsätzen, die
sie dem damaligen Kronprinzen unterschieben wollten, nicht zu regieren ver-
mag, und wenn er den Thron besteigt, sich bald überzeugt, daß es so
nicht geht.“
17. Oktober. (Mackenzie.) Gegen die Anschuldigung Macken-
zies, daß Herr von Bergmann am 12. April d. J., als Kaiser
Friedrich in größter Erstickungsgefahr schwebte, durch sein energisches
Eingreifen einen sog. „falschen Weg“ durch die Luftröhre gemacht
und dadurch den Tod des Kaisers beschleunigt habe, erlassen, da
Mackenzie zum Beweise dieser Behauptung sich auf das Sektions-
protokoll berief, die Professoren Virchow und Waldeyer, welche die
Sektion am 16. Juni machten, folgende gemeinsame Erklärung: