10 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 22.)
Lage bereitet habe und nun alle Welt in Rußland glaube, daß diese Lage
durch ein Anbinden mit dem starken Nachbar am besten geendet werden
könne. Dieser Zustand sei ein toller, ein andres Rätsel aber die unerschütter-
liche Ruhe der Bedrohten. „Als die russische Presse unaufhörlich die Be-
schuldigung wiederholt hatte, Deutschland habe allen Widerstand in Bul-
garien angeschürt, kam endlich die Frage nach dem Beweis dieser Beschuldi-
gungen, den man in Aktenstücken vorzuzeigen unternahm, deren plumpe Fäl-
schung in die Augen sprang. Wer sich als so Getäuschten bekannte, der
hätte den Ursprung einer Täuschung verfolgen müssen, die berechnet war,
ihn zu einem gefährlichen Schritt zu drängen. Aber der angeblich Ge-
täuschte tat gar nichts dergleichen, verbat sich vielmehr alle Nachforschungen,
und gab sehr deutlich zu verstehen, daß ihm passe, ferner als Tatsache an-
zunehmen, was die Täuschung vorspiegelte. Als die gefälschten Aktenstücke
im Deutschen Reichsanzeiger veröffentlicht worden, soll Herr Feoktistoff, der
Leiter der russischen Preßangelegenheiten, den dortigen Zeitungen geraten
haben, sie möchten die Berliner Veröffentlichung nicht ungünstig aufnehmen,
weil Deutschland mit derselben sich von der Politik lossage, deren Zeugnisse
es nicht für echt gelten lasse. Hat man dergleichen unter großen Staaten
schon erlebt? Deutschland bleibt der Übelthäter. Auf die plumpste Fäl-
schung gründet man eine Beschuldigung, die man nach Aufdeckung der Fäl-
schung nach wie vor erhebt mit der Behauptung, die Bezeichnung als Fäl-
schung sei vielmehr ein Eingeständnis der Schuld.“ Und nicht genug damit.
Man sende Truppen an die Grenze und lasse erklären, der bedrohte Staat
habe mehr davon dort. Dieser liefere den Gegenbeweis, die Truppensen-
dungen gehen fort. Inzwischen suche man durch die Presse dessen Bündnis-
beziehungen zu vergiften, dann suche man mit England Fuhlung zu ge-
winnen und tausche tägliche Liebeserklärungen mit Frankreich aus. Welch
ein Ende werde dieser Zustand nehmen, wie lange könne er dauern?.
„Mit gespanntem Auge verfolgt die deutsche Staatsleitung die Angriffsvor-
bereitungen des Nachbars. Von dem Augenblick, wo diese einen gewissen
Grad erreicht haben, muß Deutschland seine Sicherungsmaßregeln treffen.
Man wird nicht eher dazu schreiten, als bis auf der anderen Seite das
äußerste Maß erreicht ist, das wir noch auszugleichen Zeit haben. Aber
dieser Moment wird nicht versäumt werden. Dann werden die Dinge ein
anderes Aussehen erhalten. Auch in Waffen sich gegenüberstehend, kann
man noch unterhandeln, kann man noch sich verständigen. Doch sind die
werchblele, daß die Verständigung im letzten Augenblick gelingt, nicht zahl-
reich.“
Am selben Tage bringt die „Kölnische Zeitung“ einen
Artikel, in welchem sie sagt:
Eine merkliche Beruhigung sei in der politischen Lage noch nicht ein-
getreten. Es ließen sich dafür gewiß zum Teile diejenigen verantwortlich
machen, welche die kühle Zurückhaltung Deutschlands in der bulgarischen
Frage nicht mit dem deutsch-österreichischen Bündnisse zusammenzureimen
wüßten und die nationale deutsche Presse wegen einiger mißverstandener Äuße-
rungen zur Verräterin am Bunde machen möchten. Deutschland habe frei-
lich in Bulgarien keine erheblichen Interessen zu vertreten, und auch Öster–
reich habe allen Anlaß, einen mageren Vergleich einem fetten Prozesse vor-
zuziehen. „Aber“, fügt sie hinzu, „wenn die Trompeten schmettern, wenn
Österreich in einen Krieg mit Rußland verwickelt wird, so grübeln wir nicht
darüber, ob die Veranlassung zu diesem Kriege uns nahe oder fern liegt,
dann marschieren wir vielmehr an die Grenze, um dem Verbündeten beizu-
stehen. Wer diesen Gedankengang nicht zu begreifen vermag und deshalb