Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

206 Die Österreichisch-Ungarische Monarchie. (Januar 14. bzw. 16. u. 17.) 
Bei der Abstimmung blieben alle Großgrundbesitzer sitzen. 
Hierauf erfolgt eine arge Tumultszene. 
Gregr ruft aus der Mitte des Saales mit erhobenen Armen: „Ist 
das der tschechische Adel! Die Nation wird sich's merken!“ Waschaty: 
„Ein schöner tschechischer Adel"“; andre rufen: „Pfui, Schmach unserm Adel!“ 
Da auch die Galerien dazwischen rufen und der Oberstlandmarschall ver- 
geblich durch Glockenzeichen Ruhe zu erzielen sucht, läßt er die Galerie räu- 
men, was die Großgrundbesitzer mit demonstrativem „Bravo!“ aufnehmen. 
Das Jungtschechenorgan „Narodni Listy“ bringt hierauf 
am folgenden Tage einen heftigen Artikel gegen den Großgrund- 
besitz. Es heißt darin: 
Der gestrige Tag habe Licht in die Beziehungen des Adels zum 
tschechischen Volke gebracht. Wenn auch die tschechische Sache gestern auf 
den ersten Blick einen empfindlichen Schlag erhielt, so sei es doch besser, 
daß dies früher als später geschehe, besser, daß sich die Treulosigkeit der 
Großgrundbesitz-Kurie am tschechischen Programm schon gestern in seiner 
Gänze gezeigt habe, als daß man im Halbdunkel der gegenseitigen Täuschung 
auch fernerhin neben einander einhergewankt wäre, bis uns „unsere tschechi- 
schen Herren“ auf die niedrigste Stufe herabgedrückt und erst dort ihre Maske 
gelüftet hätten. Bezüglich des aufregenden Zwischenfalles bemerkt das Blatt, 
daß das Schauspiel, daß der gesamte Großgrundbesitz gegen die Tschechen 
stimmte, zu sehr auf die tschechischen Nerven gewirkt habe, als daß man es 
stillschweigend hätte aufnehmen können, und bezeichnet die gestrige Haltung 
des Großgrundbesitzes als Niederlage der alttschechischen Politik. Diese Politik 
habe keinen größeren Schlag erhalten können, als in dieser Stunde, wo es 
sich zeigte, auf welch lockeren Sand die Alttschechen durch 25 Jahre ihre 
Kirche aufgebaut, indem sie dem Volke einredeten, daß sie ihm eine Adels- 
partei erzogen, welche in beiden Lebensfragen des tschechischen Volkes, in der 
Autonomie und Gleichberechtigung, Hand in Hand mit den Tschechen gehe; 
und siehe da, vor einigen Tagen kämpfte Karl Schwarzenberg im böhmischen 
Landtage gegen uns, gegen unsere Autonomie für die Regierung, und gestern 
beschloß der Großgrundbesitzer-Klub, uns entschieden zu verlassen, in einem 
Momente, wo wir die Regierung an die Erfüllung der Gleichberechtigung 
mahnen wollten. Wir fragen: Was haben wir mit einem solchen tschechi- 
schen Adel noch weiterhin gemeinsam? Das böhmische Staatsrecht hat der- 
selbe dem Cisleithanismus geopfert, die Autonomie opfert derselbe dem Bureau- 
kratismus, und die Gleichberechtigung opfert er der Germanisation. In un- 
seren Bestrebungen nach Bildung und Freiheit opponiert er uns, in unseren 
nationalen Bestrebungen verläßt er uns — und das ist unser ruhmreicher 
Adel! 
14. bzw. 16. und 17. Januar. (Galizien: deutsche Sprache.) 
Landtag: Es wird der Bericht des Unterrichtsausschusses über die 
Gesuche verschiedener Bezirke um Einführung des Deutschen als 
obligaten Lehrgegenstandes in die Volksschulen vorgelegt. Derselbe 
schlägt vor, darüber einfach zur Tagesordnung überzugehen. Der 
Landtag beschließt demgemäß. 
Dagegen beschließt der Unterrichtsausschuß gegen das ab- 
lehnende Gutachten des Landesschulrats über den Antrag des Für- 
sten Adam Sapieha auf größere Pflege des Deutschen in den 
  
  
 
	        
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