Die Österreichisch-Ungarische Monarchie. (Januar 25.) 219
Die Einberufung der Reservisten hat beim 10. Armeekorps
(Mähren) bereits am 22. Januar begonnen.
25. Januar und folgende Tage. (Österreich; Deutsches
Zollbündnis; Konfessionelle Schule.) Wiedereröffnung des
Reichsrats. Abg.-Hs.: Es werden u. a. aus dem Hause folgende
Anträge gestellt:
Abg. Türk (Antisemit) und Genossen beantragen den Ab-
schluß eines Zollbündnisses mit Deutschland.
Abg. Prinz Liechtenstein (klerikal) legt einen Gesetzesent-
wurf zur Feststellung der Grundsätze des Erziehungs= und Unter-
richtswesens bezügl. der Volksschule vor.
Die Hauptpunkte desselben sind: die Kinder sollen nach den Lehren
ihrer Religion erzogen werden. Die Volksschule besteht aus 2 Abteilungen,
deren erste die Elementarschule mit 6 jähriger Unterrichtsdauer bei 5 wöchent-
lichen Unterrichtstagen, deren zweite die Bürgerschule, die gewerbliche und
landwirtschaftliche Fachschule und die Fortbildungs= und Wiederholungs-
schule bilden. Die Zahl der Unterrichtsgegenstände wird eingeschränkt, be-
sonders der Unterricht in Geschichte und Erdkunde. Zum Besuche der Volks-
und später auch der Fortbildungsschule, wenn sie nämlich nicht in eine andere
höhere Schule eintreten, sind alle bildungsfähigen Kinder verpflichtet, aus-
genommen die, welche anderweitig entsprechend unterrichtet werden. Die
Eltern können jedoch nicht gezwungen werden, ihre Kinder in der Schule
einer Erziehung und einem Unterricht zu unterwerfen, welche nicht mit den
Lehren ihrer Religion übereinstimmen. Der Religionsunterricht in den
Volksschulen und Lehrerbildungsanstalten ist Aufgabe der Kirche, bezw. der
betreffenden Religionsgemeinschaft, welche auch die Mitaufsicht auf die ganze
Schule ausüben. Die Lehrämter an Volksschulen und Lehrerbildungsanstalten
sind nur solchen unbescholtenen und entsprechend befähigten Staatsbürgern
zugänglich, welche in Glaubensbekenntnis mit ihren Schulzöglingen über-
einstimmen und beim katholischen Religionsunterrichte auch die missio cano-
nica besitzen. Die Erlassung aller übrigen gesetzlichen Bestimmungen bleibt
der Landesgesetzgebung (jedes Kronlandes) überlassen; die oberste Leitung
und Aufsicht übt der Staat durch den Unterrichtsminister aus. Unter das
Gesetz fällt nicht Galizien, Lodomirien und Krakau nach Maßgabe des Re-
gulativs vom 25. Juli 1867.
Der Antrag Liechtenstein ruft in allen Kronländern eine
lebhafte Bewegung hervor.
Die freier gesinnten Elemente aller Nationalitäten, in ganz beson-
derem Maße aber die Deutschen, sprechen in Hunderten von Resolutionen von
Gemeinden, Vereinen, Volks= und Lehrerversammlungen ihre Verurteilung
des Antrages aus. Erst spät macht sich auch eine besonders vom Klerus be-
triebene und nicht entfernt an die Gegenbewegung heranreichende Agitation
zu Gunsten des Antrages bemerklich. An der Spitze der gegen denselben
beschlossenen Kundgebungen steht nachstehender Beschluß des Gemeinderats
von Wien, der am 28. Januar als Dringlichkeitsbeschluß mit allen gegen 2
(antisemitische) Stimmen Annahme findet:
„Der Gemeinderat der Reichshaupt= und Residenzstadt Wien, jener
Stadt, welche den größten Schulbezirk des Reiches repräsentiert, erachtet es
als seine Pflicht, gleich jetzt im ersten Stadium der Beratung des in Rede