Die Österreichisch-Ungarische Monarchie. (Januar 28.) 221
Das Gesetz war mit Ungarn vereinbart und gleichzeitig vom Handels-
minister mit den übrigen Angleichsvorlagen am 5. Mai 1886 (s. Gesch.-
Kal. d. Jahrgangs) vorgelegt worden. Es ersetzt das Pauschalierungssystem
durch das Prinzip der Konsumsteuer und gewährt offene Ausfuhr-Prämien,
währen das bisher geltende System der Rückvergütung eine indirekte, fort-
wäh- rend schwankende Prämie enthielt, welche die Kontrolle ihrer Höhe sehr
erschwerte.
Der lebhafte Widerstand der Zuckerfabrikanten (besonders des böhmi-
schen Großgrundbesitzes) gegen die Details der Vorlage drang im Ausschusse
durch und bewirkte eine solche Veränderung derselben, daß die Regierung
darüber zu einer Neuberatung mit Ungarn das Gesetz zurückziehen mußte,
deren Erfolg die fast uneingeschränkte Zustimmung Ungarns zu den Aus-
schußforderungen war. Das neuvorgelegte Gesetz fand im Ausschuß fast un-
veränderte Annahme.
Die Regierung veranschlagt das Ergebnis der neuen Steuer auf
15 ½ Mill. fl. im ersten Jahre und für die folgenden eine Steigerung von
je ½ Mill. Die Minorität beantragt dagegen eine Konsumsteuer mit jähr-
lich wachsender Skala und eine jährliche Verminderung der Exportprämie,
so daß letztere von 1,30 bzw. 2 fl. im ersten Jahre auf 0,95 bzw. 1,55 fl. für
1897/98 sinken soll. Während die Regierung für das erste Jahr 12,8 Mill. fl.
an Exportprämie ansetzt, soll diese nach dem Minoritätsantrage 4,5 Mill.
nicht übersteigen dürfen und dieser Maximalsatz bis 1897/98 auf 3,2 Mill.
sinken.
In der Generaldebatte wird von seiten der Majorität einseitig der
Gesichtspunkt zur Erörterung gebracht, wieweit das Zuckersteuergesetz als staat-
liches Förderungsmittel der Zuckerindustrie zu dienen habe, während der
Hauptredner der Opposition, v. Plener, ganz besonders auf das gefährliche
sozialpolitische Element desselben hinweist, indem er die neueste Gestaltung
des wirtschaftlichen Lebens in Oesterreich, in welcher dieses Gesetz eine Episode
bilde, als einen Interessenkampf einzelner mächtiger Gruppen bezeichnet, in
welchem der Gedanke des industriellen Kartells auf die Behandlung aller
ökonomischen Fragen übertragen werde: Schutzzoll für die Industrie, Agrar-
zoll für die Landwirtschaft, Prämie für Zucker= und Spirituserzeuger, alles
auf Kosten der Konsumenten.
28. Januar. (Ungarn: Kriegsfrage.) Abg.-Hs.: Min.=
Präs. Koloman Tisza beantwortet die Interpellationen Helfy
und Perczel (vgl. Jan. 11) über die auswärtige Politik. Er sagt:
Geehrtes Haus! Zwei Interpellationen wurden in Hinsicht auf die
auswärtige Lage an mich gerichtet. Ob es angezeigt war, diese Interpellationen
zu stellen oder nicht, hierüber will ich nicht urteilen; doch ist es meine
zweifellose Überzeugung, daß, indem wir sehen, wie sehr sich in allen
Staaten, selbst in England, die Regierungsmänner die größte Reserve auf-
erlegen, wenn sie die politische Situation besprechen, und sich enthalten, über
ihre gegenwärtige und zukünftige Aktion Erklärungen abzugeben, es jedermann
einsehen müsse, daß diese Enthaltsamkeit seitens einer jeden Regierung ein
Gebot der durch die Situation geschaffenen Notwendigkeit sei. Von dieser
Überzeugung durchdrungen, werde auch ich es unterlassen, in die Fragen
der Herren Interpellanten näher einzugehen, und mich nur kurzgefaßt im
allgemeinen äußern. Bevor ich auch dies tun werde, warne ich jedermann,
den sich einander ablösenden und oft in vollkommenem Widerspruche zu
einander stehenden Telegrammen und Zeitungsgerüchten Glauben zu schenken.
Es ist nicht meine Absicht, zu untersuchen, ob diese Gerüchte als Börsen-
manöver, in der Sucht, Aufsehen hervorzurufen, als vorausgesendete Fühler,