238 Die Österreichisch-Ungarische Monarchie. (März 9., 10. und 14.)
Verkündigung des Abstimmungsresultats bricht die Galerie in wütendes Ge-
schrei und Gejohle aus, aus welchem die Rufe: Schmach Euch, ihr Reaktionäre!
Pfui Schande, ihr schwarze Garde, ihr Spießbürger, u. dgl. herauszuhören
sind. Der Bürgermeister sucht durch die Glocke vergeblich die Ruhe herzu-
stellen, 5 Minuten dauert der allgemeine Lärm, während dessen sich die Stadt-
verordneten beider Parteien im Saale gegenseitig mit Vorwürfen überhäufen.
Mit erhobenen Händen und Fäusten drohend und unter fortwährenden Ge-
schrei verläßt endlich die Menge nach Einschreiten der Ordnungsbeamten die
Galerie und erst nach längerer Pause kann die Sitzung fortgesetzt werden.
9., 10. und 14. März. In beiden Häusern, sowohl des un-
garischen als des österreichischen Reichsrates, gedenken die Präsidenten
in tiefempfundenen Worten des Hinscheidens Kaiser Wil-
helms. Hierauf werden die Sitzungen zum Zeichen der Trauer
geschlossen.
Im ungarischen Abg.-Hse. führt Präsident Pechy aus, daß er zwar
bei seinem Antrage sich auf ein Herkommen nicht berufen könne, das Haus
möge aber in der Sistierung der Beratungen dem dahingeschiedenen großen
Manne den Zoll der Ehre erweisen, der ein Musterbeispiel bürgerlicher und
soldatischer Tugend und überdies der innige Freund des Monarchen und der
Verbündete der österreichisch-ungarischen Monarchie gewesen sei.
Besonders warm spricht am 14. im österreichischen Herrenhause der
Präsident Graf Trautmannsdorff. Noch stehe das Haus unter dem
tiefen Eindrucke der schwerwiegenden Trauerbotschaft, die ganz Europa bewege.
Die Trauer um ihn sei ebenso allgemein wie gerecht. Mit dem Kaiser be-
traure das Haus den weisen Herrscher, welcher mit jenem den zur gemein-
samen Erhaltung und Sicherung der Segnungen des Friedens bestimmten
Freundesbund geschlossen habe. Der Trauer, welche alle Deutschen des Reiches
dankerfüllt dem Verewigten aus vollem Herzen weihten, schließe sich auch das
Haus an, denn diese Trauer finde in Österreich denn tiefsten Wiederhall.
„Viele sind unter uns, denen es vergönnt war, dem hohen Verblichenen näher
zu treten, seine edle Ritterlichkeit, sein leutseliges, wohlwollendes Wesen, seine
hohen Regententugenden kennen und schätzen zu lernen.“ Nachdem sich das
Haus erhoben hat, fährt Redner fort, daß er angesichts einer so bedeutungs-
vollen Trauerkundgebung das Haus nicht zum Übergehen auf andere Gegen-
stände einladen könne und schließt damit die Sitzung.
Während die gesamte übrige Presse Österreich-Ungarns der
tiefen Sympathie Ausdruck gibt, welche die Trauer des deutschen
Volkes in Österreich finde und weihevolle Huldigungen dem Ge-
storbenen darbringt, geben einige ultramontane Blätter ihrem noch
immer lebendigen Hasse gegen Preußen Ausdruck, finden aber all-
gemein die entschiedenste Zurückweisung.
U. a. schreibt das „Grazer Volksblatt“: Es könne die Hymnen auf
die Friedensgesinnungen des Kaisers Wilhelm nur der Liebe zuschreiben, die
bloß Licht sucht. Kaiser Wilhelm gehöre in die Reihen der Alexander,
Julius Cäsar und Napoleon. „Ebenso wie diese verbrachte er sein Leben in
stetem Kampfe und steter Kriegsbereitschaft. Wenn die Gegenwart, die offen-
kundig unter dem Drucke des Militarismus leidet, in Kaiser Wilhelm nicht
vorwiegend einen Kriegsfürsten erblicken will, dann haben die Tatsachen
keinerlei Konsequenzen mehr. Ein Friedensfürst im wahren Sinne war der