Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

244 Die Österreichisch-Ungarische Monarchie. (April 1. Hälfte.) 
Stellung, welche die Polen in derselben einnehmen, wird in der 
gesamten Presse aufs eifrigste diskutiert. Mit Bezug auf die Mei- 
nungsverschiedenheiten unter den Polen selbst bemerkt der „Prze- 
glond“, das Organ der konservativen polnischen Fraktion: 
„In ihrem eigenen Interesse sollten die Polen trachten, in der Brannt- 
weinsteuer-Angelegenheit durch Feilschen soviel Begünstigungen als nur mög- 
lich für Galizien herauszuschlagen und gleichzeitig die Sache so darzustellen, 
daß die Polen zu Gunsten der Machtstellung des Reiches ein riesiges Opfer 
bringen. Allein niemals sollten die Polen die Lage so zuspitzen, daß es den 
Anschein habe, als wenn sie zur Nachgiebigkeit erst gezwungen werden 
Anschen und es geht schon keineswegs an, in der Polemik zu betonen, daß 
die Polen infolge dieser Zwangslage erbittert seien und daß sie deshalb bei 
der ersten sich darbietenden Gelegenheit sich der Pflichterfüllung entziehen 
würden.“ 
Der Obmann des Polen-Klubs, Abg. v. Grocholski, vertritt diesen 
Standpunkt unbedingter Interessenpolitik ebenso stark. In verschiedenen 
Sitzungen des Polen-Klubs versichert er, daß die Branntweinsteuervorlage, 
gleichviel ob mit oder gegen die Stimmen der Polen, zur Annahme ge- 
langen werde. Durch das Zusammengehen mit der Rechten würden die 
Polen doch einige Zugeständnisse erlangen. Durch eine Allianz mit der 
Linken könnten sie zwar das Ministerium zum Falle bringen, aber Vorteile 
wären hieraus für sie kaum zu erwarten. 
In der Sitzung am 12. April lehnt der Polen-Klub den Vorschlag 
einer fundamentalen Änderung des Regierungsentwurfes ab, und es ergibt 
sich, daß die Polen bereits mit den der Majorität angehörenden Mitgliedern 
des Sub-Komitees des Branntweinsteuer-Ausschusses Fühlung genommen 
haben, da diese die Erklärung abgaben, die Anträge des Polen-Klubs unter- 
stützen zu wollen. 
Von seiten der liberalen polnischen Presse findet dies Verhalten des 
Polen-Klubs die schärfste Verurteilung. Im Lemberger National-Theater 
wird ein Stück „Die Propinationsfrage“ von Ritter v. Abrahamowicz ein- 
gereicht, dessen Aufführung die Polizei verbietet. Ebenso gelangt die oppo- 
sitionelle Stimmung in der Wählerversammlung des Samborer Großgrund- 
besitzes, wo der Reichsrats-Abgeordnete Ritter v. Lewicki über die Brannt- 
weinsteuer-Frage referiert, zum Ausdrucke. Wähler Ritter v. Rayski be- 
tont unter lebhaftem Beifalle der anwesenden Großgrundbesitzer, daß den 
Polen an der Erhaltung des gegenwärtigen Regierungssystems und des Mi- 
nisteriums Taaffe-Dunajewski äußerst wenig gelegen sei, und daß der Polen- 
Klub ohne Rücksicht auf die etwa hieraus entstehenden Folgen gegen die 
Branntweinsteuer-Vorlage, wenn dieselbe nicht gründlich abgeändert werden 
sollte, zu stimmen habe. Der Bezirkshauptmann erklärt, daß er im Falle 
der Annahme einer derartigen Resolution die Versammlung auflösen müßte. 
Von der Abstimmung wird deshalb Umgang genommen, zumal Abg. Lewicki 
versichert, er werde auch so die Wünsche und Ratschläge seiner Wähler 
beherzigen. 
Während die Opposition innerhalb des Polen-Klubs immer mehr zu 
schwanken beginnt durch die Pression der Regierungspartei, welche die Gegner 
des Branntweinsteuer-Gesetzes durch die Behauptung einzuschüchtern sucht, daß 
letzteres mit Hilfe der Linken durchgeführt würde, und während die Blätter 
noch den Polen-Klub warnen vor derlei Einschüchterungen, empfängt der 
Kaiser am 14. April den Abg. Ritter v. Jaworski. In der Audienz be- 
tont der Monarch, daß er den höchsten Wert auf die Annahme der Brannt- 
 
	        
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