Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

330 Erankreih. (März 30.) 
die Verteidigung des Vaterlandes, eines Soldaten, der ohne Grund bestraft 
und aus der großen militärischen Familie entlassen wurde. Ich bin jetzt 
wählbar, ich war es aber nicht, als sich eure republikanischen und patrioti- 
schen Ueberzeugungen auf meinen Namen vereinigten. Eure Kundgebung 
war ebenso spontan als eklatant. Die Lehre ist gegeben worden, die Re- 
gierung muß derselben Rechnung tragen. Die Achtung vor dem allgemeinen 
Stimmrechte verbietet mir heute, einen Sitz anzunehmen zum Schaden eines 
Kandidaten, an dessen Seite und nicht gegen welchen ich aufgestellt worden 
bin. Tausend Dank den Patrioten der Aisne für eure warmen Sympathien. 
Sie haben mich gestärkt in all dem Ekel, der mir bereitet wurde. Ich werde 
den 25. März nie vergessen, und nun lasset mich euch bitten, eure Stimmen 
auf jenen Kandidaten zu übertragen, welcher für die Ehre des Vaterlandes 
und die geheiligte Sache der Republik am besten kämpfen wird. 
General Boulanger. 
Bald darauf erklärt Boulanger, die Kandidatur im Depar- 
tement Nord für die am 15. April stattfindende Wahl annehmen 
zu wollen. In seinem Aufruf an das Departement heißt es: 
„Indem sie mir gestattete, vor euch zu treten, schien die Regierung 
selbst eine Kundgebung über ihre Politik herauszufordern. Ich akzeptiere 
dieses Rendezvous vor dem Suffrage universel. Gegen die Ohnmacht der 
gesetzgebenden Körperschaft gibt es bloß ein Mittel: die Auflösung der Kammer 
und die Revision der Verfassung. Auf dieses Ergebnis richten sich meine 
Anstrengungen.“ 
30. März. (Kabinetssturz.) In der Deputiertenkammer 
bringt Laguerre (äußerste Linke) einen Antrag betreffend die Revision 
der Verfassung ein. 
Pelletan beantragt die Dringlichkeit für die Beratung, mehrere 
bonapartistische Deputierten erklären, sie würden einen Antrag auf Revision 
der Verfassung in dem Sinne eines Appells an die Bevölkerung unterstützn. 
Baudry d'Asson (Noyalist) betont, er würde für eine Revision der Ver- 
fassung stimmen, aber nur, um die legitime Monarchie wiederherzustellen, die 
allein Frankreich retten könne. Der Ackerbauminister Viette ersucht, die 
Rückkehr des Ministerpräsidenten Tirard, der sich augenblicklich im Senat 
befinde, abzuwarten, ehe eine Entscheidung hinsichtlich des Dringlichkeits- 
antrages getroffen werde. Brisson spricht gegen die Revision und erklärt 
unter Anspielung auf Boulanger, man dürfe eine derartige Genugthuung 
nicht einem Manne zu teil werden lassen, welcher die Einrichtungen Frank- 
reichs angegriffen habe und davon spreche, die Kammer zu säubern. Er be- 
schwöre die Kammer, die Dringlichkeit abzulehnen. Clémenceau schließt 
sich den Ausführungen Brissons gegen die Bonapartisten an, betont aber 
die Notwendigkeit der Revision einer Verfassung, welche die Prinzipien der 
republikanischen Demokratie negiere. Rouvier spricht gegen die Dringlich- 
keit. Der Minister des Innern beantragt die Ablehnung derselben; man 
dürfe den schon bestehenden Beunruhigungen und Schwierigkeiten nicht noch 
eine neue Ursache hinzufügen. Goblet meint, eine Revision der Verfassung 
würde die Lage nicht bessern. Das wahre Heilmittel bestehe darin, eine Re- 
gierung zu haben, die sich auf eine republikanische Majorität stütze und einer 
Fraktionspolitik Trotz bieten könne. Andrieux spricht zu Gunsten der Ver- 
fassungsrevision. Der Ministerpräsident Tirard äußert sich im Sinne des 
Ministers des Innern und erklärt, wenn die Kammer beschließen sollte, den 
Antrag auf Dringlichkeit in Erwägung zu ziehen, so würde das Ministerium
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.