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die von einer Gruppe regiert wird. Dies ist eine Gefahr für das Land.
Die Regierung der Republik muß für alle Interessen, für alle Meinungen
Verständnis haben. Wir sind alle Republikaner, das heißt, wir wollen Frei-
heit und Gerechtigkeit für alle. Fortgesetzt sind Kundgebungen auf meinen
Namen erfolgt, es ist dies für mich eine Ehre, denn diese Kundgebungen
stammen von patriotischen Männern, deren Herzen verbittert sind. (Lebhafter
Widerspruch auf den Bänken der Opportunisten.) Der Parlamentarismus
erzeugt leicht unwürdige Begehrlichkeit und lähmt den guten Willen. (Bei-
fall auf der Rechten und äußersten Linken, starker Lärm auf den übrigen
Bänken.) Die Regierung muß eine vollständige Reform gewähren, und nur
die Revision der Verfassung kann eine solche Reform herstellen. Das gegen-
wärtige System gibt die Regierung in die Hände der privilegierten Klassen;
der Parlamentarismus führt eine Spaltung in Gruppen herbei, welche nur
ihren Interessen nachgehen; Ministerien, die aus Koterien hervorgehen, können
nicht dauerhaft sein.“ Als Boulanger darauf von Ministern spricht, welche
die Stimmen der Wähler durch Gelder aus dem Staatsschatz erkaufen wollen,
sordert der Präsident Boulanger auf, seine Worte zurückzunehmen. Bou-
langer erklärt, daß er nicht die Absicht habe, seine früheren Kollegen anzu-
greifen. (Zunehmender Lärm.) Boulanger wirft die Frage auf, ob über-
haupt ein Präsident der Republik nötig sei, Frankreich würde einen solchen
sehr wohl entbehren können. (Zunehmende Unterbrechungen.) Nachdem der
Präfident den Redner daran erinnert hat, daß es Zeit sei, seine Angriffe zu
beendigen, hebt Boulanger noch hervor, daß ein rekonstituiertes Frankreich,
welches eine folgerichtige Politik in seinen Beziehungen zum Auslande be-
obachte und sich auf eine mächtige Armee stütze, die beste Friedensbürgschaft
für Europa sei; die gegenwärtige Kammer aber vermöge dem Lande eine
solche Regierungsform nicht zu geben. Möge die Kammer auf die Wünsche
des Landes hören, welches die Auflösung derselben verlange. Boulanger
schließt seine Rede, indem er seine Resolution, betreffend die Revifion der
Verfassung und die Auflösung der Kammer, verliest.
Nach weiteren heftigeren Zwischenfällen ergreift der Konseilpräsident
Floquet das Wort, um die Angriffe zurückzuweisen, die gegen eine regel-
recht bestehende Regierung gerichtet werden, und spricht sich gegen die Dring-
lichkeit der Beratung aus. Floquet erinnert sodann an seine am Sonnabend
in der Kommission sur die Revision der Verfassung abgegebenen Erklärungen,
daß die Regierung es sich vorbehalte, seinerzeit eine Vorlage wegen Neviston
der Verfassung einzubringen. Boulanger habe durch Einbringung seines An-
trages die Ungeduld der Wähler beschwichtigen wollen, da er fürchtete, an-
dernfalls sich den Beinamen eines „nichtsthuenden"“ (fainéCant) Diktators zu-
zuziehen. (Gelächter auf der Linken.) Floquet wirft Boulanger vor, daß
sein Auftreten eine Kundgebung des Neucäsarismus sei, daß er nur Hypo-
thesen und Zukunftsprojekte vorbringe, bei denen als einziger Zweck der
Ruhm des General Boulangers in Frage komme. Boulanger unterbricht
den Ministerpräsidenten mit den Worten: „Mein Ruhm kommt dem Ihrigen
völlig gleich.“ Floquet erinnert Boulanger daran, daß in dem Alter,
welches Boulanger jetzt erreicht, Napoleon I., der ja auch eine republikanische
Verfassung vernichtet habe, bereits tot gewesen sei, und daß Boulanger nichts
sein werde, als der „Sieyês“ einer totgeborenen Verfassung. (Beifall links.)
— Die Dringlichkeit der Beratung des Antrages Boulangers wird hierauf
abgelehnt und auf Antrag Areènes mit 335 gegen 170 Stimmen beschlossen,
daß die Rede Floquets in allen Orten angeschlagen werden solle. Die Sitzung
wurde sodann aufgehoben.
Vor der Abstimmung in der Kammer hatte Clémenceau erklärt,
daß er für die Regierung stimmen werde. Nicht die Revision, sagte er, sei