Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

Mebersicht der politischen Entwickelung des Jahres 1888. 419 
vanche nicht zu haben ist, so kommen die inneren Empfindungen 
der Bevölkerung gegen jeden Deutschen, der ihnen zufällig in den 
Weg kommt, zum Ausdruck. In Belfort kam es zu Mißhandlung 
harmloser deutscher Reisender und es war diesen nachher unmöglich 
vor französischen Gerichten Gerechtigkeit zu erlangen, ja es nur zu 
einer Verhandlung zu bringen (vgl. 8. Mai; Mitte Aug. S. 119). 
Diese Stimmung in Frankreich wirkte auch fortwährend nach Elsaß- 
Lothringen hinüber und erschwerte die Re-Germanisierung. Die 
deutsche Reichsregierung beschloß deshalb, da die Gesinnungen ein- 
mal so feindselig waren, auch die thatsächlichen Beziehungen auf 
das kleinstmöglichste Maß zu reduzieren, den gesellschaftlichen, per- 
sönlichen, geschäftlichen Verkehr hinüber und herüber zu unterbinden. 
Am 22. Mai wurde eine Paß--Verfügung erlassen, welche das Ueber- 
schreiten der elsaß-lothringischen Grenze für alle Ausländer an die 
umständlichsten Formalitäten und Bedingungen knüpfte. Die Härte 
der Maßregel erregte in den Reichslanden selbst die größte Unzu- 
friedenheit; da die Franzosen thatsächlich nicht mehr ins Land kamen, 
so sah sich der Verkehr und alles, was vom Verkehr lebt, schwer 
geschädigt. Der Zweck aber, daß Deutschland, und namentlich 
Elsaß-Lothringen, in „entferntere Beziehungen zu Frankreich trete“, 
wurde durch diese und noch einige andere Maßregeln erreicht. (Vgl. 
29. Mai, 12. November, 18. Dezember.) 
In der inneren Geschichte Deutschlands heben sich natur-Innere 
gemäß die beiden Monate, in denen Kaiser Wilhelm der Alte noch * 
in hergebrachter Weise vornehm und sicher seines Amtes waltete, Deutsch- 
scharf ab von den folgenden Monaten, die ausschließlich beherrscht lands. 
sind durch den Tod der beiden Kaiser und die von diesem doppelten 
Thronwechsel ausstrahlenden oder auf ihn zurückstrahlenden Ereig- 
nisse. Die Zeit bis zum 9. März muß also für sich betrachtet 
werden. 
Die Germanisation der Volksschulen in den polnischen Land-osen. 
schaften führte zu heftigen Remonstrationen der Polen sowohl bei dem 
Erzbischof Dinder (vgl. 10. Januar) als im Abgeordnetenhause 
(25. Januar). Einen Erfolg hatten diese Proteste naturgemäß nicht; 
bemerkenswert ist aber, daß bei dieser Gelegenheit der Gedanke aus- 
gesprochen wurde, die Germanisation Posens sei ein Glied in den 
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