Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

Uebersicht der pelitischen Eutwictzelung des Jahres 1888. 1425 
neuem aufs hböchste irritierten, vollzog, ist nicht authentisch bekannt 
geworden. 
Das Partei-Leben des Jahres 1887 hat gestanden unter dem Tas 
Zeichen des Kartells. Kartell ist ein Bündnis unter verschiedenen. 
Parteien, aber nicht Verschmelzung zu einer Partei. Da kann es 
nicht ausbleiben, daß die Verbindung gleichberechtigter Elemente 
mit doch wieder divergierenden Interessen immer von Zeit zu Zeit 
bald auf dieser, bald auf jener Seite den Verdacht erweckt, das 
eigene Interesse möchte von dem des anderen in den Hintergrund 
gedrängt werden. Auch wenn dies nicht geschieht, wird es manch- 
mal für rätlich gehalten werden, sich den Anschein einer Beeinträch- 
tigung zu geben, um auch jedem Versuch der Art vorzubeugen. Es 
ist also kein Wunder, daß im Jahre 1888, wo neue Wahlen zum 
preußischen Abgeordnetenhause bevorstanden, innerhalb des Kartells 
ziemlich heftige Friktionen ausbrachen. Die heutige Gruppierung 
der Parteien in Deutschland ist ja so, daß die Deutsch-Konservativen 
neben dem Kartell einige Fühlung mit dem Zentrum, die National- 
liberalen mit dem Freisinn zu erhalten suchen, der Freisinn seiner- 
seits schließt den Ring, indem er eine Brücke zum Zentrum schlägt. 
Die Offensive ging diesmal von den Konservativen aus. Die Re- 
gierung brachte ein Gesetz ein, wonach die Ueberschüsse der Brannt- 
weinsteuer in Preußen verwandt werden sollten zu einer Steuer- 
erleichterung vermöge der Aufhebung des Volksschulgelds. 
Kartell. 
Von allen direkten Abgaben erschien diese als die drückendste, Volle- 
hauptsächlich durch ihre Ungleichmäßigkeit, oft auch durch ihre Höhe. 
schul. 
Entla= 
Aus Bromberg wurde berichtet, daß jede Mark Einnahme aus stungs- 
dem Schulgeld eine Exekution notwendig gemacht habe. In sehr Geseb. 
vielen Orten, u. a. auch in Berlin, wird schon lange kein Schul- 
geld mehr erhoben, so daß die Gesamtsumme im ganzen Staat nicht 
mehr als 10 Millionen Mark betrug. Man beschloß etwa das 
Doppelte, 20 Millionen, an die Gemeinden jährlich zu verteilen. 
Dafür sollten diejenigen, die noch Schulgeld erhoben, auf solches in 
Zukunft verzichten; diejenigen, die ohnehin kein Schulgeld mehr 
erhoben, konnten andere Lasten erleichtern. Die Verteilung auf die 
Gemeinden sollte in der Weise geschehen, daß sie für den jeden ersten 
Lehrer 400, für die anderen 200, für Lehrerinnen und Hilfslehrer
	        
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