Aebersicht der politistzen Euntwichelung des Jahres 1888. 49
ob diesem Einspruch des Oberkirchenrats (dem durch Friedrich Wil-
helm IV. ein Gutachten zugestanden worden ist) nachgegeben werden
solle. Das Staatsministerium entschied unter der Initiative des
Fürsten Bismarck nach dem Antrage des Kultusministers für die
Fakultät und der König vollzog unmittelbar darauf die Ernennung.
(Vgl. 19. Sept. S. 145.) Am nächsten Geburtstage Luthers kreierte
die theologische Fakultät in Gießen den Fürsten Bismarck zum
Doktor der Theologie; in seinem Dankschreiben betonte dieser vor
allem das „duldsame und praktische Christentum“ (5. Dezember).
Die Blätter der Orthodoxie waren äußerst ungehalten über diese
Stellungnahme (vgl. S. 145, S. 192, 24. Nov.). Ein wahrer
Sturm aber brach aus, als der Abgeordnete Graf Douglas vor
seinen Wählern in Aschersleben eine Rede hielt (4. Okt.), in der
er mündliche Aeußerungen des Kaisers berichtete, die nicht nur die
Stöckerschen Ideen, sondern auch Stöckers Person scharf zurückwiesen
und die Stellung des Monarchen über den Parteien festhielten (vgl.
S. 159 und S. 199).
Das innere Leben der preußisch-deutschen Armee hat durch Lie
den Wechsel des Kriegsherrn neue Antriebe empfangen. Schon Armee
Kaiser Friedrich ließ die in ihm lange vorbereiteten Gedanken so-
fort zu neuen Vorschriften ausarbeiten und sein Sohn setzte das
Werk fort. Die Kürassiere legten den Panzer ab und nahmen
die Lanzen an. Ein neues Exerzier-Reglement, eine Garnison-
dienst-Vorschrift und andere tief eingreifende Reformen traten
schnell hintereinander ins Leben. Wichtiger aber, als alle Verord-
nungen sind im Kriege die Männer. Die beiden Kaiser trugen
Sorge, daß das Offizierkorps, das unter dem alten Kaiser etwas
zu sehr mitgealtert war, verjüngt wurde. Nicht weniger als 65
Generale und 156 Stabsoffiziere (eingeschlossen die Verstorbenen)
schieden im Laufe des Jahres 1888 aus. Von den 14 Armee-
korps erhielten 8 neue Chefs; von den 33 Divisionen 22; von
100 Infanterie= und Kavallerie-Brigaden 52. Am 3. August
reichte auch Feldmarschall Graf Moltke seinen Abschied als Chef
des Großen Generalstabes ein, den der junge Kaiser dem alten
Helden in einer ausgezeichnet schönen und würdigen Form ge-
währte. (Vgl. die Schreiben unterm 14. August.) An die Stelle