Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April Anf.—Mitte.) 75 
kaiserlichen Familie sein Veto zu sprechen. Fürst Bismarck, der langjährige 
erprobte Diener der Hohenzollern, ist gewiß über den Verdacht erhaben, als 
ob er sich nicht der Würde, zugleich aber auch der Grenzen seiner Stellung 
bewußt wäre. Gründe der Staatsraison, die man vielleicht gegen die in 
Rede stehende Verbindung anführen möchte, können in dieser Sache kaum 
ein durchschlagendes Gewicht beanspruchen. Hat doch auch Königin Viktoria 
von England nicht Anstand genommen, den Bruder des Battenbergers, den 
Prinzen Heinrich, als Gatten ihrer Tochter in ihre Familie aufzunehmen, 
ohne damit das Wohl ihres Landes und dessen Einvernehmen mit Rußland 
aufs Spiel zu setzen! Was der Königin von England recht ist, das sollte 
dem deutschen Kaiser nicht billig sein? Und unser Kanzler sollte in der 
ängstlichen Rücksichtnahme auf Rußland so weit gehen, daß er darüber die 
Achtung vor dem Selbstbestimmungsrechte seines Kaisers beiseite schieben 
müßte? .. ... Nein, wenn Fürst Bismarck sich wirklich mit Rücktritts- 
gedanken trägt, so wird er dafür wohl andere und hoffentlich triftigere Gründe 
haben, als den von der Köln. Ztg. vorgeschützten ..“ 
In ähnlichem Sinne, aber mit einer noch schärfer pointierten 
Wendung gegen den Reichskanzler, schreibt die „Freisinnige Zeitung“: 
„Prinz Alexander von Battenberg ist nicht mehr Fürst von Bul- 
garien, sondern nur noch deutscher Prinz. Nicht nur hat derselbe in Bul- 
garien feierlich und förmlich abgedankt, sondern ist auch durch die freie Ent- 
schließung des bulgarischen Volkes auf dem Thron durch einen Fürsten aus 
dem Hause Koburg ersetzt worden. Prinz Alexander kann also selbst von 
seiten Rußlands nicht mehr als Kronprätendent in Bulgarien angesehen 
werden. Niemals würde auch ein deutscher Monarch, wenn selbst der Prinz 
jemals noch Thronansprüche erheben sollte, dynastische Rücksichten die Hal- 
tung Deutschlands in der bulgarischen Frage beeinflussen lassen. Was somit 
in Deutschland, wo man „Gott fürchtet, sonst niemand!“ eine kaiserliche Prin- 
zessin verhindern könnte, dem Wunsche ihres Herzens zu folgen, vermögen 
wir nicht einzusehen. Indes sind ja für das Volk in Deutschland die aus- 
wärtigen Verhältnisse weit weniger durchsichtig, als in andern Ländern. Für 
den Kaiser aber liegen dieselben ebenso klar und offen wie für den Kanzler. 
Überlassen wir also die Entscheidung dieser Frage vertrauensvoll dem Mo- 
narchen, selbst wenn dieselbe, was uns wenig wahrscheinlich vorkommt, zu 
einer Ministerkrisis führen sollte. Wenn man aber das lebenslängliche Ver- 
bleiben des Fürsten Bismarck im Amt dermaßen als Lebensbedingung für 
Deutschland hinstellt, wie es in den letzten Tagen einige konservative und 
nationalliberale Blätter getan haben, so heißt dies, den Kanzler empor- 
heben, um den Monarchen und die Nation destomehr herabzudrücken. Denn 
wenn der Minister jederzeit seine Entlassung nehmen, der Monarch ihm die- 
selbe aber nicht geben darf, was bleibt dann überhaupt noch von dem freien 
Willen des Monarchen übrig?! Wer das Verhältnis zwischen Kaiser und 
Kanzler derart darstellt, begünstigt Konflikte, vermindert sie aber nicht. Ja 
man stellt den Monarchen dabei zuletzt sogar vor die Alternative, entweder 
den Kanzler zu entlassen oder selbst abzudanken, wenn der Kanzler auf seinem 
Willen besteht."“ 
Die „Frankfurter Zeitung“ läßt sich aus Darmstadt vom 5. 
April aus „gut unterrichteten Kreisen“ eine Korrespondenz zugehen, 
wonach die Verhandlungen über die Verlobung der beiden genannten 
fürstlichen Persönlichkeiten vor etwa 8 Tagen bereits so weit gediehen gewesen 
wären, daß Fürst Alexander am zweiten Osterfesttage nach Berlin reisen 
wollte; es scheine die Proklamierung der Verlobung für den gestrigen Tag
	        
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