76 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April Anf.—Mitte.)
(die Korrespondenz ist vom 5. April datiert, dem Geburtstag des Fürsten)
in Aussicht genommen gewesen zu sein. Alles wäre in Darmstadt im Pa-
lais auf dem Luisenplatz bereits zur Abreise vorbereitet und die Koffer schon
gepackt, als auf einen von Berlin gegebenen Wink hin die Reise plötzlich
unterblieb. Ich teile, so nimmt dann der Korrespondent selbst das Wort,
dieses Gerücht selbstverständlich unter aller Reserve mit, muß aber daran
erinnern, daß die fragliche eheliche Verbindung bereits seit Anfang 1884 ein
Lieblingswunsch der nunmehrigen Kaiserin Viktoria ist. Als im April jenes
Jahres hier die Vermählung der ältesten Tochter unseres Großherzogs, Prin-
zessin Viktoria, mit dem Prinzen Ludwig von Hessen gefeiert wurde, ist die
betreffende Angelegenheit zwischen der damaligen Kronprinzessin des deutschen
Reiches und dem Fürsten Alexander, welche beide hier anwesend waren, so
weit als nur möglich gefördert worden. Der Fürst reiste bald darauf nach
Berlin, fand indes am Reichskanzler einen entschiedenen Gegner der geplanten
Heirat, die denn auch unterblieb. Zwischen den Beteiligten wurde aber das
ganze Projekt nicht aufgegeben, sondern nur der richtige Augenblick abge-
wartet, um damit wieder hervorzutreten.
Die „Kölnische Zeitung“ aber fügt ihren Darlegungen unter
Berlin, 5. April, folgendes hinzu:
Da in der letzten Zeit der Plan der erwähnten Vermählung in einer
amtlichen Weise an den Reichskanzler gelangt ist, so hat er seine Stellung
zu demselben freimütig und offen dargelegt und in eventu, für den Fall,
daß die enge Familienverbindung des Prinzen Battenberg mit dem kaiser-
lichen Hause an Allerhöchster Stelle gebilligt werde, um seinen Abschied ge-
beten. Ob er denselben erhalten werde, hängt also lediglich davon ab, wie
die battenbergische Frage an Allerhöchster Stelle entschieden werden wird.
Bis diese Entscheidung getroffen ist, bleibt die Kanzlerkrisis in der Schwebe.
Möglich, daß die Entscheidung schon bald erfolgt, möglich, daß sie sich noch
längere Zeit hinzieht, etwa bis Üach dem erwarteten Eintreffen der Königin
von England am Allerhöchsten Hofe, dem um den 12. April (Geburtstag
der Prinzessin Viktoria) entgegengesehen wird. Das ist die Ursache und In-
halt der Krisis, die einige Tage hinaufreicht, einmal vorübergehend beigelegt
schien, dann aber wieder auftauchte und dann die jetzige klare Form annahm.
Dem „Hamb. Korr." wird gemeldet: Die Lage der Reichskanzler-Krisis
ist unverändert. In unterrichteten Kreisen wird angenommen, daß die Rück-
trittsabsichten des Reichskanzlers auch durch innere Personalfragen hervor-
gerufen seien.
Über die Entstehung und den Verlauf der Differenz zwischen
Kaiser Friedrich und dem Reichskanzler meldet vom 8. April auf
Grund von „absolut authentischen Informationen“ eine Wiener
Korrespondenz des „Daily Chronicle":
Am 31. März hielt Fürst Bismarck seinen üblichen Vortrag in Char-
lottenburg, als ihm nach Besprechung der laufenden Geschäfte Se. Majestät
der Kaiser mitteilte, daß die lange schon in Erwägung gezogene (contem-
plated) Verheiratung zwischen der Prinzessin Viktoria und dem Prinzen
Alexander von Battenberg der Durchführung nahe sei. Fürst Bismarck er-
klärte sich darauf ohne Zaudern als Gegner des Planes, worauf der Kaiser
erwiderte, daß die Heirat von der Kaiserin ernstlich gewünscht werde. Fürst
Bismarck bat nun um eine Audienz bei der Kaiserin, die ihm sofort be-
willigt wurde. Nun entwickelte der Kanzler vor dem Kaiser und der Kai-
serin seine Gründe gegen das Projekt, indes vermochten dieselben die Kaiserin