Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April Anf.—Mitte.) 77 
in ihren Ansichten nicht zu erschüttern, was Ihre Majestät offen sagte. Der 
Fürst Bismarck bemerkte darauf, daß es ihm unmöglich sei, seine Auffassung 
zu ändern, und daß er somit seine Demission geben müsse, wenn die Kai- 
serin seine Meinung nicht billige. Am 3. April war der Kanzler wieder 
in Charlottenburg, aber der Sache geschah keinerlei Erwähnung mehr. Am 
folgenden Tage erfuhr Fürst Bismarck, daß ein weiterer Schritt in der An- 
gelegenheit geschehen sei und daß Prinz Alexander von Battenberg in Kürze 
in Berlin eintreffen werde. Hierauf gab der Fürst Bismarck dem Kaiser 
seinen Entschluß dahin kund, daß er die Hieherkunft des Prinzen Alexander 
von Battenberg als den ersten Schritt zur Verlobung erachten und demnach 
seine Entlassung an dem Tage geben müsse, an welchem die Hieherkunft des 
Prinzen definitiv beschlossen sei. In einer ferneren Unterredung mit der 
Kaiserin wiederholte der Kanzler diese seine Erklärung, ohne jedoch die Kai- 
serin in ihrer Willensmeinung wankend zu machen. Jedenfalls scheinen indes 
diese Vorgänge die Hinausschiebung der projektierten Reise des Prinzen Ale- 
xander zur Folge gehabt zu haben, und die Sachen stehen sonst im ganzen 
wie bisher, ohne daß auf einer der beiden Seiten sich seither Neigung zum 
Nachgeben bemerklich gemacht hat. 
Am 10. April meldet in sehr bestimmter Weise ein Berliner 
Korrespondent der „Hamb. Nachr.“, indem er vor allem die An- 
nahme, daß die Krisis bereits beigelegt sei, für falsch erklärt: 
Über die Aufgabe des Heiratsplanes sind noch keine Beschlüsse defi- 
nitiv gefaßt, wenn derselbe auch vielleicht vorläufig hinausgeschoben ist. Fürst 
Bismarck rechnet mit der Möglichkeit der Verwirklichung des Projekts und 
richtet sich allmählich auf seine Demission ein. Es mag hierbei auch die 
Überzeugung mitspielen, daß sich seiner Politik auch noch andere Hemmnisse 
entgegenstellen, welche seine Neigung zurückzutreten vergrößern könnten. 
10. April. Über eine Unterredung, welche zwischen der Kai- 
serin Friedrich und dem Reichskanzler stattfindet, wird der „Wiener 
Pol. Korrespondenz“ aus Berlin geschrieben: 
In hiesigen Zeitungen werden allerhand Vermutungen an die Unter- 
redungen geknüpft, welche der Reichskanzler vorgestern mit Ihrer Majestät 
der Kaiserin und gestern mit Sr. Majestät dem Kaiser gehabt hat, und an 
vielen Stellen wird mit Bestimmtheit ausgesprochen, daß die Kanzlerkrisis 
nunmehr als beseitigt betrachtet werden dürfte. Das trifft nicht zu. Die 
lange Zusammenkunft zwischen der Kaiserin und dem Reichskanzler am 10. 
d. Mts. ist leider resultatlos verlaufen und alle dem widersprechenden Ge- 
rüchte beruhen auf mehr oder weniger geschickter Kombination. Die bestehenden 
Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Vermählung der Prinzessin Viktoria 
sind keineswegs ausgeglichen, indem die Kaiserin sowohl, wie der Reichs- 
kanzler auf den von ihnen eingenommenen sich gegenüberstehenden Stand- 
punkten verharren. Dagegen ist zu bemerken, daß sich Bereitwilligkeit zu 
zeigen scheint, die definitive Entscheidung bezüglich der Vermählung der Prin- 
zessin Viktoria noch hinauszuschieben, wodurch der Rücktritt des Reichskanz- 
lers wieder in weitere Ferne gerückt erschiene, da diesen nur die Tatsache 
der Verlobung oder einer Standeserhöhung des Prinzen Alexander von 
Battenberg, nicht aber die wohlwollenden Absichten, die in allerhöchsten Kreisen 
bezüglich des Genannten gehegt werden, zum Rücktritt veranlassen würden. 
Dem gegenüber versichert wenige Tage darauf die „Konf. 
Korresp.“ mit Bezug auf das Battenbergische Heiratsprojekt:
	        
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