2 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar Anf.)
haben ihre Bestrebungen keine Aussicht auf Erfolg. Indessen ist es un-
zweifelhaft, daß, wenn diese Autorität nicht mehr vorhanden, die oben ge-
kennzeichneten Bestrebungen sich in der oder jener Weise Geltung im öffent-
lichen Leben verschaffen werden.“
Anf. Januar. (Affäre Morier; vergl. Gesch.-Kal. 1888
16. XII.) Die Londoner Blätter veröffentlichen einen Briefwechsel
zwischen Sir Robert Morier und dem Staatsminister Grafen Her-
bert Bismarck.
Morier an Bigmarck.
„Herr Graf! Die „Köln. Ztg.“ vom Sonntag, den 16. d. Mts.,
die ich so eben empfangen habe, enthält einen gemeinen Angriff auf mich,
in welchem sie unter anderen Anschuldigungen auch die gegen mich erhebt,
daß ich, als ich Ihrer Majestät Geschäftsträger in Darmstadt im Jahre 1870
war, die Bewegungen der deutschen Armee an Marschall Bazaine verriet.
Ich würde diesen Ausspruch mit der größten Verachtung, welche mir ähn-
liche verleumderische Angriffe seitens eines Teiles der deutschen Presse bis-
lang einflößten, behandelt haben, wenn ich nicht, als ich im vorigen Juli
in England war, zufälligerweise gehört hätte, daß Ew. Exzellenz mehr Per-
sonen als einer gegenüber erklärt hatte, daß ein deutscher Militärattaché in
Madrid berichtet habe, Marschall Bazaine hätte ihm sogenannte Enthüllungen
in obigem Sinne gemacht. Ich that Ew. Exzellenz nicht die Ungerechtigkeit
an, vorauszusetzen, daß Sie einer so handgreiflich abgeschmackten Geschichte,
der das Gepräge einer häßlichen und unmöglichen Verleumdung derartig
aufgedrückt ist, daß sie in dem Augenblick, wo sie ernstlich erwogen ist, in
Stücke zerfallen muß, Glauben beimessen; noch wollte ich Sie beleidigen, in-
dem ich Sie mit einem so abnormalen Zynismus kreditiere, um anzunehmen,
daß ein Mann, der durch die Freundschaft und das Vertrauen des verstor-
benen Kaisers Friedrich geehrt wurde, so unaussprechlich niederträchtig sein
konnte, dieses Vertrauen und diese Freundschaft dazu zu gebrauchen, ihn und
seine Armee an den Feind zu verraten. Gleichwohl hielt ich es für zweck-
mäßig, ohne Zeitverlust an den Marschall Bazaine zu schreiben und mich
zu erkundigen, ob die angebliche Unterhaltung auf Wahrheit beruhe. Ich
empfing von ihm ein nachdrückliches Dementi, dessen Abschrift ich, gepaart
mit einer Abschrift meines Briefes an ihn, hiermit beizuschließen die Ehre
habe. Mit diesem dokumentarischen Beweise der Unrichtigkeit der mutmaß-
lichen Unterhaltung in Ihren Händen appelliere ich ohne irgend einen
Zweifel betreffs des Ergebnisses an Ew. Exzellenz als einen Gentleman und
Mann von Ehre, in der „Nordd Allg. Ztg.“ unverzüglich eine Widerlegung
der in der „Köln. Ztg.“ enthaltenen schmutzigen und schändlichen Verleum-
dungen einrücken zu lassen.“
Graf Bismarck an Sir Nobert Morier.
Friedrichsruh, 25. Dezember.
„Euer Exzellenz Schreiben vom 19. d. M. habe ich zu erhalten die
Ehre gehabt. Ich bedauere, daß ich weder aus dem Inhalt, noch aus dem
Ton desselben Veranlassung nehmen kann, Euerer Exzellenz überraschender
Forderung zu entsprechen, und aus den mir durch meine amtliche Stellung
der deutschen Presse gegenüber gezogenen Grenzen herauszutreten."
Sir Robert Morier an Bismarck.
Britische Botschaft, St. Petersburg, 31. Dezember 1888.
Herr Graf! Ich habe die Ehre, den Empfang des Schreibens Ew.
Exzellenz vom Weihnachtstage in Erwiderung des meinigen vom 19. d. M.