Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

8 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 24.) 
ruhiger und unbefangener werde ich bleiben. Ich habe — um den Aus- 
führungen des Herrn Vorredners zu folgen, soweit mein Gedächtnis eben 
reicht — im vorigen Jahre ausgesprochen, daß die vorjährige Vorlage so- 
weit gegangen wäre, als sie im Interesse der katholischen Kirche hätte gehen 
können. Diese Meinung beherrscht mich auch heute noch. Die Staatsregie- 
rung war, wie Sie in allen ihren Aeußerungen — schriftlichen und münd- 
lichen — erkennen können, der Meinung, daß ihren früheren Versprechungen 
und Erklärungen gemäß dieser sogenannte Sperrfonds verwendet werden 
sollte im Interesse der katholischen Kirche. Die Einsetzung einer 3½ prozen- 
tigen Rente, welche dem Sperrfonds entsprach, war nach meiner damaligen 
Meinung, und so ist es auch nach meiner heutigen, ein unendlich Mehreres, 
als was heute der katholischen Kirche geboten ist; wie denn alle diejenigen 
— und ich habe ja das Glück, viele solche zu kennen —, welche außerhalb 
der parlamentarischen Opposition damals gestanden haben, schon damals und 
auch heute noch keinen Zweifel hegen, daß die katholische Kirche in Preußen 
keine größere Stärkung erfahren konnte, als wenn im Staatshaushalt eine 
neue 3 ½ prozentige Rente an der Stelle eingesetzt würde, wo im Staats- 
haushalt die Dotationsrenten verzeichnet sind. 
Es wird, glaube ich, die Zeit kommen, wo man bedauern wird, daß 
man die Bemühungen der Staatsregierung in dieser Beziehung nicht unter- 
stützt hat, und ich habe die Ueberzeugung, daß zu Gunsten der katholischen 
Kirche von dem Kapital, welches jetzt nicht, wie der Herr Vorredner eben 
annahm, einfach ihr hingegeben wird, sondern mit einer sehr schweren Zweck- 
bestimmung belastet, sehr wenig übrig bleiben wird, und daß diejenigen 
Hoffnungen und Wünsche, welche ernste katholische Geistliche an die Rege- 
lung dieser Materie gesetzt haben, scheitern. Ich sage, leider! Ich halte 
nach wie vor dafür, es wäre katholischerseits richtiger gewesen, die vorjährige 
Vorlage anzunehmen, und ich halte auch den von mir s. Z. ausgesprochenen 
Satz. fest, die Staatsregierung konnte nicht weiter gehen, als im vorigen 
Jahre geschehen ist. Das ist meine Meinung; Sie brauchen sie ja nicht zu 
teilen, aber Sie werden mir erlauben, wenn ich sage, das ist meine ehrliche 
Meinung; ich habe sie immer gehabt, ich habe sie heute und werde sie stets 
verteidigen. 
Ein Plus wäre der Rente gegenüber gewesen die Ausantwortung des 
Kapitals bedingungslos, die Ausantwortung an den Papst; das waren die 
beiden Steigerungen, die bekanntlich auch diskutiert sind. Gegen dieses Plus 
habe ich mich ausgesprochen und sage nach wie vor, heute wie vorher: das, 
was damals geboten war, war im Interesse der katholischen Kirche das 
meiste, was der preußische Staat anbieten konnte. 
Nun wurde ja damals gleich in der ersten Lefung, wenn die Herren 
sich genau erinnern, angeregt, das Kapital sollte seitens des Staats unmittel- 
bar an die sogenannten Empfangsberechtigten gegeben werden, und da muß 
ich nun den Herrn Vorredner, der ja alles das mit mir gemeinsam durch- 
gemacht hat, doch bitten, noch einmal genau das nachzulesen. In den Aeuße- 
rungen des Zentrums zeigen sich drei ganz verschiedene juristische Auffassungen. 
Einmal war von sogenannten Empfangsberechtigten die Rede, also von den- 
jenigen Personen, welche empfangsberechtigt gewesen wären, wenn das Sperr- 
gesetz nicht erfolgt wäre. Eine zweite vom Zentrum auch immer auf gleicher 
Linie behandelte Frage war die der Geschädigten; es wurde ausdrücklich 
immer ausgesprochen, daß viele Gemeinden, Vereine, anders geartete Persön= 
lichkeiten, welche Mittel namentlich den Priestern und Geistlichen gewährt 
hatten, die eigentlich Empfangsberechtigten seien. Und wird der Herr Vor- 
redner sich noch entsinnen, daß drittens die katholische Kirche als solche als 
der geschädigte Teil hingestellt wurde, und daß gegenüber schweren Anklagen 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.