Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (November 27.) 153 
teresse daran, daß die Grenzkreise veröden oder verwalden; sollen sie bestellt 
werden, so müssen Menschen dafür da sein. Diese Menschen konnten wir, 
wenn die Landwirtschaft nicht im stande ist, höhere Preise zu zahlen, — 
und das ist sie nicht, — nicht anders bekommen, als indem wir die Grenze 
nicht ganz schlossen. 
Es hat dann die preußische Regierung in Bezug auf den Privat- 
unterricht in der polnischen Sprache in den Volksschulen insoweit auch den 
früher existierenden Zustand wiederhergestellt, als sie genehmigt hat, daß da, 
wo der Religionsunterricht in der polnischen Sprache erteilt wird, Privat- 
unterricht im Polnischen unter Benutzung der Schulräume, sofern die Ge- 
meinde damit einverstanden ist, durch den Lehrer den Kindern gegeben werden 
darf. Mir scheint diese Forderung doch nicht allzu unbillig, wie sie von 
Seiten dieser polnisch sprechenden Mitbürger aufgestellt worden ist. Denn 
wenn in dem Religionsunterricht polnisch gesprochen worden ist, so liegt es 
nahe, daß das Bestreben da sein muß, auch die Bücher, die sich darauf be- 
ziehen, schließlich in der Sprache lesen zu können, in der der Religionsunter- 
richt erteilt wird. Nachdem diese Verordnung, die ich für eine überaus 
maßvolle und gute halte (sehr wahr! im Zentrum), gegeben worden, kam 
ein deutscher Vater darum ein, auch für seine Kinder die Teilnahme an 
diesem Unterricht zu gestatten. Auch das ist geschehen und, wie mir scheint, 
wiederum mir Recht. Kein Mensch findet etwas dabei, wenn ein eingewan- 
derter Deutscher in Metz seine Kinder am französischen Unterricht teilnehmen 
läßt. Ich sehe nicht ein, warum der Fall hier so wesentlich anders liegen 
soll, wenn ein Deutscher, der seinen Erwerb in der Provinz Posen findet, 
glaubt, daß seine Kinder besser durch das Leben kommen werden, wenn sie 
auch Polnisch verstehen. (Sehr richtigt im Zentrum.) Wir haben auch hier 
nicht verkannt, daß es viel wünschenswerter wäre, wenn diese Schwäche 
unseres Staates, die darin liegt, daß wir an verschiedenen Grenzen anders- 
sprechende Menschen haben, nicht da wäre, oder wenn sie zu beseitigen wäre. 
Da wir das aber nicht können, haben wir geglaubt, diesem nach unserem 
Befinden berechtigten Wunsch unsere volle Mitwirkung geben zu sollen. 
Endlich beunruhigt man sich über ein Faktum, das auch wieder noch 
nicht eingetreten, aber wahrscheinlich ist: daß ein Mann polnischer Abkunft 
auf den erzbischöflichen Stuhl von Posen und Gnesen berufen werden soll. 
Historisch ist den Herren bekannt: wir haben früher polnische Erzbischöfe 
gehabt. Es ist weiter bekannt, daß der vorige Erzbischof ein Mann von 
deutscher Abkunft war, dem alles Gute nachzusagen ist, auch nachgesagt wird, 
der aber vielleicht nicht stark genug war, um das, was gerade die Deutschen 
in der Provinz Posen von ihm erwartet hatten, zur Durchführung zu bringen. 
Er war vielleicht nicht stark genug, um selbständig auftreten zu können. Er 
wurde geleitet und wurde nun in einem Sinne geleitet, der den Deutschen 
schädlicher war, als wenn ein Mann polnischer Abkunft mit dem Gefühl, 
daß er auch Deutschen gerecht zu werden hat, und mit der Charakterstärke, 
seinen Willen durchzusetzen, auf diesen Stuhl gesetzt worden wäre. (Sehr 
wahr!) Das preußische Staatsministerium ist nach dem Tode des Erzbischofs 
Dinder darüber nicht zweifelhaft gewesen, daß, wenn wir einen polnischen 
Kandidaten fänden, der im übrigen unseren Anforderungen genügte, wir 
nicht abgeneigt sein würden, ihn in Vorschlag zu bringen. Es fand sich 
anfangs keiner, es fand sich aber auch kein Deutscher, und nach den Ereig- 
nissen in Thorn war es nun für uns nicht zweifelhaft, daß der Mann, der 
da eine Rede gehalten hatte, die so weit preußisch und preußisch-patriotisch 
war, als wir es überhaupt von den Einwohnern polnischer Zunge in der 
Provinz Posen erwarten können, den Anforderungen so weit genügte, als 
es möglich war. 
 
	        
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