Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

192 dDie Oeferreitish-Angarishe Monarthie. (April 15. — Mai 8.) 
Geehrte Herren von beiden Häusern des Reichsrates! Wunsch und 
Bedürfnis nach fruchtbarer Arbeit erfüullen nicht uns allein, in allen euro- 
päischen Staaten gibt sich das Verlangen nach friedlichem Nebeneinanderleben 
kund, von allen Regierungen kommen uns Versicherungen zu, welche die Er- 
haltung des Friedens als wesentlichste Aufgabe ihrer Bemühungen bezeichnen. 
Dies, wie die freundschaftlichen Beziehungen, in welchen wir zu allen Mächten 
stehen, berechtigt Mich, die Hoffnung auszusprechen, daß die Reihe der Frie- 
densjahre, deren sich die Monarchie bieher zu erfreuen hatte, fortdauern und 
es Ihnen vergönnt sein werde, sich den Ihrer harrenden Arbeiten ungestört 
widmen zu können. 
Meine Regierung bereitet die entsprechenden Gesetzentwürfe vor und 
wird nach Maßgabe ihrer Fertigstellung Ihnen dieselben zur weiteren Be- 
handlung übergeben; von Ihnen erwarte Ich eine sorgfältige und sachliche 
Prüfung der Vorschläge Meiner Regierung und bin davon überzeugt, daß 
bei ruhiger, von Voreingenommenheit freier, auch den Standpunkt eines 
Parteigegners achtender Beratung es moglich sein werde, die bestehenden 
Gegensätze zu mildern und einen gemeinsamen Boden für eine heilbringende 
Thätigkeit zu finden. Die Befolgung solcher Grundsätze hat in einer An- 
gelegenheit des landtäglichen Wirkungszkreises in jüngster Zeit die Erreichung 
befriedigender Resultate angebahnt, deren Ausgestaltung und Verwirklichung 
auch in Zukunft den Gegenstand des unentwegten Strebens Meiner Regie- 
rung bilden wird. Durch ausdauernde und pflichttreue Arbeit, wie Ich sie 
von Ihnen erwarte, gewinnen die bestehenden verfassungsmäßigen Einrich- 
tungen erst ihren vollen Wert. In dieser Weise kann Einheit und Macht 
des Staates gewahrt und den mannichfaltigen Verhältnissen Meiner König- 
reiche und Länder, sowie den verschiedenen Interessen ihrer Bewohner Rech- 
nung getragen werden; auf diesem Wege wird das sittliche, geistige und 
wirtschaftliche Wohl Meiner treuen Völker, welche Meinem Herzen Alle 
gleich nahe stehen, unter Wahrung ihrer verfassungsmäßig gewährleisteten 
Gleichberechtigung am wirksamsten gefördert. Möge Gott der Allmächtige 
zu dem verantwortlichen Werke seinen Segen verleihen!"“ 
15. April. Nachdem im dritten Wahlkörper zum Gemeinde- 
rat 33 Antisemiten und 13 Liberale, im zweiten 39 Liberale und 
7 Antisemiten, im ersten 44 Liberale und 2 Antisemiten gewählt 
wurden, besteht der Gemeinderat im ganzen aus 96 Liberalen und 
42 Antisemiten. 
16. April. (Wien.) Im Reichsrat findet die Wahl des 
Präsidiums statt, Smolka wird mit 301 von 306 Stimmen zum 
Präsidenten wiedergewählt. 
3. Mai. (Wien.) Letzte Sitzung der Delegierten zu den 
deutsch-österreichischen Handelsvertragsverhandlungen. 
8. Mai. (Wien.) Die Regierung vereinbart mit den Füh- 
rern der großen Parteien, von einer Adresse als Antwort auf die 
Thronrede abzusehen, da sich für keine der vorgelegten Adressen 
eine ausreichende Majorität findet, und statt dessen eine einfache 
Loyalitäts-Kundgebung zu substituieren. Präsident Dr. Smolka 
stellt demgemäß im Abgeordnetenhause einen dringlichen Antrag, 
der ohne Debatte einstimmig angenommen wird.
	        
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