Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

Frankreich. (Februar 21.—24.) 235 
liche Zeitung: Kaiser Friedrich habe es zu verschiedenen Malen ausgesprochen, 
der Kultus der schönen Künste- müsse eine Annäherung zwischen den Bölkern 
herbeiführen. Der Gaulois fährt dann fort: „Vielleicht sehen wir jetzt den 
Anfang dieser Politik, und vielleicht ist die Ankunft der Kaiserin-Mutter 
das erste Pfand für eine solche Annäherung."“ 
Ein ähnlicher Gedanke kehrt im Eclair wieder, welcher schreibt: „Unter 
der Flagge des Schönen vollzieht sich eine glückliche Beruhigung der Ge- 
müter, deren Gesamtfolgen man noch nicht übersehen kann."“ 
Eine Ausnahme von der im ganzen sympathischen Sprache der meisten 
Pariser Blätter macht die Cocarde, welche behauptet, Oesterreich wolle sich 
Rußland nähern und der Dreibund werde daher nicht erneuert. Deutsch- 
land bleibe unter diesen Umständen nur übrig, den Krieg zu erklären oder 
sich Frankreich zu nähern, um nicht in drei Monaten vereinsamt in Curopa 
dazustehen. Man habe sich für letzteres entschlossen. Die Einladungen der 
französischen Nationalökonomen, Aerzte, Künstler bewiesen dies. Die Gefahr 
für Deutschland sei so groß, daß der Kaiser seine Mutter hiehergeschickt 
habe, um die öffentliche Meinung für ihn günstig zu stimmen. Die Cocarde 
warnt die Franzosen, in diese „Falle“ zu gehen. „Wir sollen uns seit 
zwanzig Jahren ruiniert haben, nur um das von Wilhelm I., Moltke und 
Bismarck begründete Gebäude zu befestigen!? Da würde unser alter gallischer 
Boden vor Scham und Ekel erzittern.“ 
21. Februar. Deroulede schmückt das dem 1871 vor Paris 
gefallenen Maler Henry Regnault im Vorhofe der Kunstschule er- 
richtete Monument mit einem Immortellenkranz, der die Inschrift 
trägt: „Au Grand Peintre Henri Regnault, Mort pour la Patrie. 
L. D. P. Février Quand meme.“ 
In einer Versammlung der früheren Patriotenliga unter 
Vorsitz des Abg. Laur protestiert Deroulede gegen die Beteili- 
gung französischer Künstler an der Kunstausstellung in Berlin. 
Die Abgeordneten Roche, Boudeau und Lesenne halten heftige 
Reden gegen Deutschland. Zum Schluß macht die Versammlung 
eine Demonstration vor der Straßburg-Statue. 
24. Februar. Der „Herold“ bringt folgendes Telegramm 
aus Paris. Fast sämtliche Pariser Zeitungen erörtern die 
Frage, ob für Frankreich der Augenblick gekommen sei, sich Deutsch- 
land zu nähern. Die Mehrzahl bejaht die Frage mit dem Hinzu- 
fügen, die Annäherung könne niemals bis zu einem Bündnis her- 
anwachsen. Jedenfalls müsse Frankreich Rußlands Freund bleiben. 
Sehr wenige Blätter sprechen sich für die Fortdauer der bisherigen 
gespannten Beziehungen zwischen beiden Ländern aus. 
In der Kammer will Deroulede eine Interpellation ein- 
bringen, weil der Kranz an dem Regnault-Monument von dem 
Direktor der Kunstschule entfernt worden ist. Erst als ihm ver- 
sprochen wird, ihn sofort wieder hinzulegen, steht er davon ab. Die 
Abgeordneten sammeln unter sich für einen neuen Kranz.
	        
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