Serbien. (Mai 16. —Juli Ende.) 285
Ich finde indes keine Gründe, diesem Wunsche zu entsprechen. Nur den
Gesetzen des Landes und der Verfassung bin ich Gehorsam schuldig; deshalb
bin ich fest entschlossen, zu bleiben, um so mehr, als ich bei meiner strikten
Enthaltung von der Politik den gegenwärtigen Machthabern nicht im Wege
sein kann und meine Entfernung weder den Interessen des Landes noch
jenen des Thrones für nützlich erachte. Sollte aber trotzdem mein Los sich
so gestalten, daß man mich durch Gewalt zum Verlassen des Landes nötigt,
so werde ich meinem einzigen Kinde und vielleicht später einmal auch der
Geschichte wenigstens den Beweis geliefert haben, daß ich nicht aus freien
Stücken von seiner Seite gewichen bin.“
16. Mai. (Belgrad.) Die Königin Natalie erkärt dem
Ministerpräsidenten Pasitsch und dem Minister des Innern, daß sie
keinerlei auf ihre Abreise bezüglichen Vorschläge annehmen werde,
und sie verbleibt auch auf die Versicherungen des Ministerpräsi-
denten Pasitsch, daß beide Minister sich durch ihr Wort für die
Möglichkeit ihrer baldigen Rückkehr verbürgen, bei der Erklärung,
Belgrad und Serbien nicht verlassen zu wollen, da ihr Recht zum
Aufenthalt im Lande in der Verfassung begründet sei.
18. Mai. Der Polizeipräfekt wird mit der Ausweisung der
Königin Natalie beauftragt. Die zur Wohnung der Königin füh-
renden Straßen werden gesperrt und die Zufahrt zum Bahnhofe
mit Gendarmerie besetzt. Die Königin reißt die Fenster auf und
ruft laut schreiend die Menge zu Hilfe. Die Bevölkerung wider-
setzt sich der Ausweisung der Königin thätlich, liefert ein förmliches
Straßengefecht den zur Ordnung aufgebotenen Truppen, wobei es
auf beiden Seiten Verwundete gibt und führt die Königin im
Triumph in ihr Palais zurück.
19. Mai. Ernennung des Obersten Praporcetovitsch zum
Kriegsminister an Stelle von Milltitsch.
19. Mai. Die Ausweisung der Königin wird beim Morgen-
grauen unter Aufbietung der gesamten Garnison durchgeführt, und
die Abreise erfolgt in vollständiger Ruhe und Ordnung. Mittelst
Extrazuges wird die Königin nach Semlin über die Grenze gebracht.
Eine Anzahl Personen, auch höherer Kreise, werden in An-
klage versetzt wegen Aufwiegelung und Auflauf.
Ende Juli. König Alexander reist nach Rußland (pyl.
dieses) und von da nach Wien und Ischl, wo er Kaiser Franz
Joseph und seinen Vater König Milan besucht.