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denen der Hof, die Spitzen der russischen Gesellschaft, der Armee
und Marine den französischen Offizieren huldigten. Nach Moskau
wurde eine Ausfahrt unternommen, als wenn der Brand von 1812
gesühnt werden sollte; den Heiligtümern der russischen Kirchen be-
zeugten die französischen Seemänner ihre Verehrung und als Krö-
nung des Ganzen ließ der Zar bei dem offiziellen Festessen die
sonst in Rußland streng verpönte Revolutionshymne, die Mar-
seillaise, ven dem Musikchor anstimmen und hörte sie respektvoll
aufstehend an. Die russisch-französische Verbrüderung symbolisch
zu einem stärkeren Ausdruck zu bringen, würde schwerlich möglich
sein. Die Frage ist, weshalb eine so gewaltige Demonstration in
Szene gesetzt wurde. War sie bestimmt, eine aktive Kooperation
einzuleiten? Ein Mitarbeiter der „Preuß. Jahrbücher“" (Bd. 68)
fand dafür den Ausdruck, der Kronstädter Besuch sei, was im bür-
gerlichen Leben eine Verlobung genannt würde. Man verlobe sich,
um eine Ehe zu schließen; man verlobe sich aber auch manchmal,
um ein Verhältnis, welches noch nicht zu einer Ehe führen könne,
dadurch fest zu machen und jedem Zweifel zu entrücken. Die Kron-
städter Demonstration war also weniger ein Zeichen, daß die Ent-
wicklung sich einer Krisis nähere, sondern umgekehrt, daß man an
entscheidenden Stellen den kritischen Moment noch nicht so bald
erwarte. Ja, auf der französischen Seite hatte man sogar das
Gefühl, daß vielleicht durch diesen Besuch des Guten etwas zu viel.
geschehen sei, und zwar in Bezug auf England. Zwar konnte der
Kronstädter Besuch einigermaßen als ein Gegenzug gegen den eben-
falls sehr demonstrativen Besuch des deutschen Kaisers in England
aufgefaßt werden, aber wenn dieser Gegenzug etwa dazu geführt
hätte, nun England um so mehr an den Dreibund heranzudrücken,
so hätte man ja nur diesem in die Hand gearbeitet. Zu einigem
Erstaunen der öffentlichen Meinung in Frankreich selbst hörte man
deshalb, als die Flotte auf ihrer Rückfahrt war, daß sie unterwegs
in Portsmouth anlaufen und auch England ihre Visite abstatten
werde. Die oben charakterisierten frankophilen Elemente in Eng-
land begrüßten diese Nachricht mit größerer Freude als die Fran-
zosen, die wohl empfanden, daß hierin eine Abkühlung der ihnen
so wohlthuenden Glut ihres Russenenthusiasmus liege. Lord Salis-