Aebersicht der politischen Entwickelung des Jahres 1891. 307
siten eine solche Deklaration zugemutet werden dürfe, daß daher
das moralische Uebel der falschen Deklarationen viel größer sein
werde, als der Gewinn, den der Fiskus bei den ehrlichen Leuten
mache. Für die unteren Steuerstufen wurde der Prozentsatz der
Steuer in dem Gesetz wesentlich ermäßigt, für die oberen (von
30,000 Mark an) erhöht; das Maximum 40, früher 3%, beginnt mit
100,000 Mark. Aktiengesellschaften werden noch besonders besteuert.
Mit dieser Verstärkung der Steuerlasten nach oben ist ein Aus-
gleich gegen die vielfältige Erhöhung der indirekten Steuern, die
im letzten Jahrzehnt aufgelegt sind, gegeben (Ges. v. 24. Juni).
In ähnlichem Sinne wie die Einkommensteuer wurde auch die Ge-
werbesteuer reformiert. Das zu erwartende Plus an Einnahme
soll aber keine Steuervermehrung bilden, sondern soll dienen zur
Erleichterung einer Reform der Kommunalsteuer.
Das zweite große Gesetz ist die Reform der Landgemeinde-
ordnung für die sieben östlichen Provinzen. Dies Gesetz ist als
der Abschluß der vom Minister vom Stein im Jahre 1807 be-
gonnenen Reform anzusehen: ein Beweis, wie unendlich schwer
und langsam sich solche Reformen vollziehen, wenn sie nicht auf
revolutionärem Wege, sondern unter Schonung der bestehenden
politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse durchgeführt
werden sollen. Das platte Land östlich der Elbe bietet sozial ein
wesentlich anderes Bild als das alte Deutschland westlich jenes
Stromes. Auf dem den Slawen allmählich abgewonnenen deutschen
Kolonialgebiet ist der Großgrundbesitz in den Händen der Nach-
kommen der Ritter, welche das Land erobert haben, noch heute vor-
herrschend. Reste der alten feudalen Organisation haben sich in
den Gutsbezirken naturgemäß erhalten und es war auch jetzt noch
eine sehr schwierige Aufgabe, aus Rittergutsbesitzern und besitz-
losen Tagelöhnern, Bauern und modernen Industriellen, die sich
aufs Land hinausgezogen haben, einen lebensfähigen kommunalen
Organismus zu schaffen. Läßt man die Gemeindebehörden wäh-
len, so ist die Gefahr, daß der größte Grundbesitzer und Haupt-
steuerträger des Bezirks in unbilliger Weise überstimmt wird; gibt
man diesem ein seinem Besitz entsprechendes Uebergewicht, so ist er
so gut wie Alleinherrscher. Nicht auf schematischem Wege durch
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