Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

308 Aebersicht der politischen Eutwickelung des Jahres 1891. 
Aufstellung eines allenthalben gleichmäßig wirkenden Systems konnte 
dieses Problem gelöst werden. Man entschloß sich daher mit Recht 
zu einem freilich sehr künstlichen und komplizierten Aufbau, der 
aber dadurch fähig geworden ist, sich all' den verschiedenen Ver— 
hältnissen anzupassen. Statt der eigentlichen Gemeinde tritt sehr 
häufig ein bloßer Verband für bestimmte Zwecke (Wegebau, Schulen, 
Armenlast, Polizei) ein; manche Gutsbezirke bleiben als solche be- 
stehen, manche werden mit benachbarten Gemeinden verschmolzen. 
Dann sind wieder Kautelen eingefügt, daß diese Verschmelzungen 
nicht willkürkich, auch nicht nach dem bloßen Gutdünken der Re- 
gierung, sondern nur unter sorgfältiger Erwägung der jedesmaligen 
Verhältnisse erfolgen können. (Ges. v. 3. Juli.) 
Dem Finanzminister Miquel und dem Minister des Innern 
Herrfurth, die mit ebensoviel Sachkenntnis und Klugheit, wie par- 
lamentarisch-diplomatischem Geschick diese beiden großen Werke zur 
Vollendung gebracht hatten, gab der König durch Ueberreichung 
seines Bildnisses ein Zeichen seiner besonderen Anerkennung. (16. 
Juni.) 
Mit der Steuervorlage und der Landgemeindeordnung hatte 
das preußische Ministerium noch eine dritte Vorlage in den Land- 
tag eingebracht (vgl. 1890 S. 163 und 266), welche mit jenen beiden 
nach der Erklärung des Ministerpräsidenten eine organische Einheit 
bildete, das Volksschulgesetz. Mit diesem aber ist man nicht 
zu stande gekommen. Während dem Einkommensteuergesetz in der 
Hauptsache nur die Deutschfreisinnigen, der Landgemeindeordnung 
ein Teil der Konservativen widerstrebte, widersetzte sich dem Volks- 
schulgesetz vor allem das Zentrum, unterstützt aus entgegengesetzten 
Motiven von Deutschfreisinnigen. Dieser Widerstand wäre im 
Abgeordnetenhaus, wo die Kartellparteien über eine große Majorität 
verfügen, zu überwinden gewesen. Aber es sind nicht immer bloß 
die Fraktionsstärken in ihrem Landtage, mit denen eine preußische 
Regierung zu rechnen hat, die deutsche und preußische Politik hängen 
untrennbar zusammen, und im Reichstag gebot nicht das Kartell, 
sondern das Zentrum mit den Deutschfreisinnigen über die Majorität. 
Da Deutschland ein konstitutioneller Staat ist, so kann die Regie- 
rung nicht umhin, den Parteien, welchen das Volk in seinen Wahlen
	        
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