Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

30 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 3. - 6.) 
als das war, welches wir vor einem Jahre vor uns hatten. Und ich hoffe, 
daß, wenn wir nach einem Jahre wieder vor Sie treten, das Bild noch 
etwas besser geworden sein wird; denn ich wiederhole: nur nach großen 
Zeiträumen können wir wirklich in die Augen fallende Erfolge erwarten. 
Ich habe aber den festen Glauben an die deutsche Nation, daß sie an zäher 
Arbeit hinter keiner anderen zurücksteht und daß es ihr gelingen wird, das, 
was sie einmal angefangen hat, zu halten und zum Heile Deutschlands aus- 
zunutzen. (Lebhafter Beifall.) 
6. Februar. Abg. v. Cuny (nat.blib.): 
Wir schätzen die englische Freundschaft auch. Diese ist aber nur dann 
zuverlässig, wenn die Engländer sich vollständig bewußt sind, daß sie auf 
Gegenseitigkeit beruht und die Freundschaft Deutschlands für England den- 
selben Wert hat, wie die Englands für Deutschland. Wenn wir unsere 
Interessen auch England gegenüber zu betonen nicht nachlassen, so wird das 
erst der rechte Kitt für unsere Freundschaft seeen. Die Abtretung des 
Witu-Landes hätte, wenn sie einmal nötig war, in anderer Weise vollzogen 
werden können. Ich bitte den Reichskanzler, wenigstens die Interessen deut- 
scher Privater, die dort geschädigt sind, bei den weiteren Verhandlungen mit 
England im Auge zubehalten Die Ostafrikanische Gesellschaft steht nicht 
in der Lage eines Beschenkten, der nichts als Gegenleistung bringt; sie hat 
eine sehr wertvolle, lukrative Gegengabe gebracht! Nämlich die Zölle, die 
erheblich über die 600,000.“ M, die seitens des Reichs bewilligt werden, hinaus- 
gehen. Die Verwaltung des Reichs, die Schutztruppe u. s. w. sind ja nicht 
zum Schutze der Ostafrikanischen Gesellschaft und ihrer Unternehmungen 
allein da, sondern zugleich zum Schutze des deutschen Unternehmungsgeistes 
überhaupt, der sich dort in weitem Spielraum entwickeln wird. Der Abg. 
Windthorst hat nicht genug betont, daß die gegenwärtige Entwicklung ganz 
im Einklange steht mit seiner Resolution auf Unterdrückung des Sklaven- 
handels. Bei der Verhandlung im Reichstage wurde damals schon hervor- 
gehoben, daß die Blokade nicht ausreichend sein würde, daß die Karawanen= 
straßen beherrscht werden müßten, und dazu bedurfte es der Stationen und 
der Schutztruppe. Wenn ich als Anhänger der Kolonialpolitik mich bekenne, 
so thue ich das in dem vollen Bewußtsein, daß jede Kolonisation mit manchen 
Fehlern, Mißgriffen und vorübergehenden Unfällen anfängt. Die Kolonial= 
geschichte aller Nationen zeigt, daß sie noch in ganz anderer Weise haben 
Lehrgeld zahlen müssen. (Sehr richtig! rechts.) Fest steht aber die That- 
sache, daß jede große Nation sich Kolonien geschaffen hat und keine sie frei- 
willig aufgeben mag. (Beifall rechts.) Ich halte unser Deutsches Reich jedem 
anderen Staate für ebenbürtig, und wenn alle anderen Nationen koloniale 
Unternehmungen für richtig erkannt haben, dann halte ich es auch nicht für 
einen Mißgriff, daß wir Deutsche denselben Weg beschritten haben. (Beifall 
rechts und bei den Nationalliberalen.) 
Reichskanzler v. Caprivi: 
Der Herr Abg. Dr. von Cuny hat seiner Entrüstung über verschiedene 
Dinge, die die gegenwärtige Regierung gethan und nicht gethan hat, Aus- 
druck gegeben. (Heiterkeit links.) Ich greife die drei schwersten Gravamina 
heraus. 
Zunächst hat diese Regierung nicht richtig erfaßt, daß, wenn auch 
England in der Lage ist, uns etwas zu gewähren, wir doch in der Lage 
sind, auch selbst England Gegenleistungen zu machen. Der Herr Abgeordnete 
hat da einen Ton angeschlagen, der in der Zeit nach der Veröffentlichung 
des deutsch-englischen Abkommens vielfach durch die Presse ging und der in
	        
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