Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

82 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 5.) 
Zusammenhalten liegt. Einer nur ist Herr im Reiche, und das bin Ich, 
keinen anderen dulde Ich. In dieser Gesinnung erhebe Ich Mein Glas und 
trinke auf die Provinz, sie blühe und gedeihe in alle Ewigkeit." 
5. Mai. Das Abgeordnetenhaus nimmt im Einkom- 
mensteuergesetz die kleineren vom Herrenhaus beschlossenen Mo- 
difikationen an, setzt aber mit 201 gegen 80 Stimmen (die Frei- 
sinnigen, ein Teil der Nationalliberalen und Freikonservativen) den 
Satz von 4% in die Skala wieder ein. 
5. Mai. (Köln.) Der Kaiser antwortet auf die Rede des 
Oberbürgermeisters Becker beim Gürzenich-Mahle mit folgenden 
Worten: 
„Mein verehrtester Ober-Bürgermeister! Nehmen Sie Meinen herz- 
lichsten Dank entgegen für die Gesinnungen Ihrer Bürgerschaft, deren Aus- 
druck Ihre Rede gewesen ist, und für den Empfang, den Ich in dieser Stadt 
entgegenzunehmen die Genugthuung hatte. Es ist an Mir, zu danken, denn 
die Gesinnung der Treue, der Liebe, die aus vielen Hunderttausenden Herzen 
Mir heute entgegengeschlagen ist, hat Mich tief gerührt, ergriffen. Es ist 
die Fortführung der alten traditionellen Anhänglichkeit, die Sie schon er- 
wähnten, deren Ausdruck Ich schon früher zu beobachten Gelegenheit hatte, 
als Meines verstorbenen Großvaters und Meines Vaters Majestät in diesen 
Mauern von Ihnen mit demselben Enthusiasmus und derselben Pracht ge- 
feiert wurden, und viele von Ihnen werden mit Mir noch der erhebenden 
Momente sich entsinnen, als von dieser Stelle Mein hochseliger Herr Vater 
begeisternde Worte an die Versammlung richtete. Dergleichen poetische Worte 
stehen Mir nicht so zur Verfügung, wie Meinem Herrn Vater, aber Meinen 
innigen und herzlichen Dank kann Ich auch in schlichten deutschen Worten 
Ihnen ausdrücken, und Ich bitte Sie, denselben der Bürgerschaft kenntlich 
zu machen. Eine der Ueberschriften über den Pforten hat Mir besondere 
Freude gewährt, es ist der einfache Satz: „Willkommen im alten Köln!"“ 
In den Worten, meine Ich, ist die gesamte Geschichte der Stadt Köln in 
klarer Schrift dargestellt. Verbunden durch viele verschiedene Bande mit den 
verschiedenen Kaiserhäusern, die dereinst über Germania regierten, hat sie 
stets ihre Treue dem Kaiser bewahrt, ob im Glück oder Unglück. Als ge- 
waltige Handelsstadt hat sie es verstanden, im mächtigen Bunde mit der 
Hansa weit hinaus ihre Fühlhörner zu strecken, durch die großen Höfe, die 
sie in fremden Staaten gründete, dem deutschen industriellen Gebiete Absatz 
zu verschaffen und deutsches Handwerk und deutsches Erzeugnis im Auslande 
zu verbreiten. Sie sind auch jetzt wieder auf derselben Bahn begriffen und 
hoffentlich werden Wir Englands Schiffe wie in alter Zeit vor dem Kölnischen 
Thor liegen sehen. (Lebhafter Beifall.) Meine Beziehungen zu Köln sind 
auch schon langjährige, und manchen frohen Tag habe Ich in ihren Mauern 
verleben dürfen. Meine tiefinnige Befriedigung spreche Ich aus, daß Ich an 
dieser geweihten Stelle und in dieser altehrwürdigen Domstadt nun auch als 
Kaiser eingezogen bin. Es ist ein altes und von Mir stets erhofftes Ziel 
gewesen, dereinst in dieser vornehmen Stadt auch einmal als Deutscher Kaiser 
zu weilen. Ich erhebe den Pokal, den kölnischer Fleiß und kölnisches Geschick 
geformt, und trinke daraus den ersten Tropfen deutschen Weines auf das 
Wohl der ur= und kerndeutschen Stadt Köln. Möge sie blühen, grünen und 
gedeihen! Was an Mir liegt, so werde Ich gern nach dem Vorbild Meiner 
Vorfahren Meine schützende Hand über die Stadt halten, und Ich denke,