Das Denisqhe Reich und seine einzelnen Glieder. (November 4.) 143
Finanzlage — für mindestens drei Jahre am Kriege verhindert, weil es
eher seine Ausrüstung mit dem neuen Gewehr und Pulver nicht vollendet
hat. Es kann also von unmittelbarer Kriegsgefahr von diesen beiden Seiten
gar keine Rede sein."
Nun wandte sich der Fürst der zweijährigen Dienstzeit zu, durch die
die Militärvorlage „schmackhaft gemacht“ werden solle; er gab dabei be-
merkenswerte historische Reminiscenzen, indem er sagte:
„Ich halte diese Operation (die zweijährige Dienstzeit) für höchst be-
denklich. Man sollte doch meinen, daß der alte Kaiser Wilhelm, Moltke
und Roon auch etwas von der Sache verstanden haben und nicht gegen
Windmühlen kämpften, nicht grundlos dreißig Jahre lang mit aller Kraft
an der dreijährigen Dienstzeit unerschütterlich festhielten, als Grundlage der
deutschen Wehrkraft. Man sollte sich doch daran erinnern, welche Opfer
unser hochseliger Kaiser und König Wilhelm es sich hat kosten lassen, um
diese Grundlage unserer Wehrverfassung zu behaupten. Als ich, aus Paris
von ihm berufen, am 19. September 1862 nach Berlin kam und Audienz
bei ihm erlangte, da hatte er bereits seine Abdankung unterzeichnet! Die
Urkunde lag vor ihm, als ich eintrat, und er mir sein Ministerinm anbot.
Er war willens, den Kronprinzen rufen zu lassen, und die Abdankungs-
urkunde und die Regierung in dessen Hand zu legen, falls ich mich dem
königlichen Rufe versagte! Ich aber sagte sofort zu. „Ja, wollen Sie
denn auch gegen die Majorität des Landes Ihr Amt antreten und führen!“
fragte mich der König. „Ja.“ erwiderte ich. „Und auch ohne Budget?!"“
„Ja, Majestät.“ Nun zerriß er die Abdankungsurkunde und später auch
ein Programm von 16 Seiten, welches er entworfen hatte, um meinem
„Junkertum“ einige Zügel anzulegen, und war wieder voller Mut und
Hoffnung. Aber ein vierzehntägiger Aufenthalt in Baden-Baden bei seiner
Gemahlin veränderte seine Stimmung wieder durchaus. Er schrieb mir
änßerst niedergeschlagen. Ich reiste ihm bis Jüterbog entgegen, dessen Bahn-
hof damals noch gar nicht fertig war. Als ich ankam, war alles dunkel.
Niemand wußte Bescheid, nicht einmal ob der König komme. Ich setzte
mich auf eine umgestülpte Karre und wartete auf den Zug, mit dem der
König kommen wollte. Der Zug fuhr ein. Immer noch kein Licht. Ich lief
den Zug entlang. Niemand wollte vom Könige wissen. Es war ein gewöhn-
licher Zug — damals fuhr man noch nicht im Sonderzug, wie man's jetzt
nennt — endlich fand ich den König in einem Coupee erster Klasse. Er
war fast noch gebeugter, nach den zwei Wochen Baden-Baden, als zuvor.
Seine Gemahlin hatte ihn beim Rüffel der Weltgeschichte gefaßt. Ich faßte
ihn nun beim preußischen Portepee. „Ja, was soll denn werden?“ fragte
er mich. „Ich sehe weit genug von meinem Schlosse, um auf dem Platz
davor Ihr Haupt fallen zu sehen, und dann fällt das meine.“ — „Nun,
was mich betrifft, Majestät, kann ich mir deun einen schöneren Tod denken,
als diesen und den auf dem Schlachtfelde! Ich würde daun fallen wie
Lord Strafford und Eure Majestät nicht wie ein Ludwig der Sechszehnte,
sondern wie ein Karl der Erste. Das ist doch eine ganz anständige histo-
rische Figur.“ „Et après?" fragte er. „Würden Eure Majestät als Kom-
pagnieführer denn Ihre Kompagnie im Gefecht im Stiche lassen wollen?“
fragte ich zurück. „Nein!“ rief er, gerade und fest aufspringend. Damit
habe ich ihn wiedergewonnen. Das preußische Portepee hatte gesiegt! —
So ernst waren jene Tage und so viel hat mein hoher Herr für die Grund-
lage der deutschen Wehrverfassung gewagt und gethan, die jetzt in Frage
gchent wird. ç
„Und wie denkt man sich diese zweijährige Dienstzeit? Jetzt bilden
unsere Elitetruppe die dreijährig Gedienten. Diese Truppe soll in Zukunft