2 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 8.—9.)
oder gesessen haben, die ganz interessante Erscheinungen waren. Hat sich
eine besondere Bewegung gegen die Monarchie geltend gemacht? Hält man
eine Umschau über die gekrönten Häupter von Europa, dann treten aller-
dings Erscheinungen zu Tage, welche es notwendig erscheinen lassen, die
Monarchen vor jeder Kritik zu schützen. Es gibt auf den Thronen Er-
scheinungen, daß bloß die Namensnennung die Erinnerung an liederliche
Subjekte erweckt. Gibt es nicht Angehörige von herrschenden Familien, die
in allen Spiel= und Lasterhöhlen zu finden waren? Die Ehe, die man
schützen wolle, würde durch die Fabrikarbeit der Frauen und durch die von
den oberen Kreisen begünstigte Prostitution herabgewürdigt, ebenso durch
die Erschwerung der Heiraten der Postbeamten und Offiziere. Er schließt:
Die Erweiterung der kautschukartigen Gesetzesbestimmungen wird nur dazu
führen, die Opposition vogelfrei zu machen. Wir fürchten dieses Gesetz
ebenso wenig wie das Sozialistengesetz. Wir halten es für unverbesserlich.
Wir werden es daher auch nicht in eine Kommission schicken. Der frühere
Reichskanzler sprach von dem Mute der Kaltblütigkeit. Die Kaltblütigkeit
ist zum Teufel gegangen und Sie marschieren unter dem Hafenpanier.
8. Januar. Der Kaiser setzt auf einem auf dem Schloß
zu Potsdam gegebenen Herrenabend in längerem Vortrage einer
Anzahl Abgeordneten die Notwendigkeit auseinander, die Marine
zu verstärken (vgl. 8. Februar).
9. Januar. (Reichstag.) Umsturzvorlage. Stumm gegen
die Kathedersozialisten. Gröber gegen die ungläubigen Professoren.
Abg. v. Stumm (R. P.): Ein prinzipieller Unterschied zwischen
Sozialdemokraten und Anarchisten existiert nicht. Den Sozialdemokraten
gegenüber kann man mit geistigen Waffen nicht auskommen, man muß den
eisernen Besen anwenden, und zwar richtet man mit geistigen Waffen des-
wegen nichts aus, weil die jedesmal, wenn sie widerlegt sind, sich sofort
mausern und von neuem widerlegt nochmals sich mausern und so natürlich
nicht zu fassen sind. Wir brauchen deshalb ein schärferes Gesetz, und hätte
ich das Gesetz zu machen, so würde ich vorschlagen „§ 1: Jedem Sozialisten
wird das aktive und passive Wahlrecht entzogen. Die Agitatoren werden
ausgewiesen oder interniert.“ Die Sozialdemokratie kann heute bereits in
ihrer Organisation als ein Staat im Staate gedacht werden. Sie hat ein
wohlgeordnetes Beamtenheer, fie treibt ihre Steuern mit größerer Pünktlich-
keit ein, als irgend ein Finanzminister der Einzelstaaten es sich nur wün-
schen kann; sie unterdrückt mit allen Mitteln, was sich ihr widersetzt. Ich
halte es für die Pflicht der Selbsterhaltung, für eine Pflicht gegen die
Monarchie und die Gesellschaft, die Arbeiter von dem roten Banne der
Sozialdemokraten und der ungesetzlichen Tyrannei zu befreien, die ihnen
von den sozialdemokratischen Agitatoren auferlegt wird. Ich nehme es den
sozialdemokratischen Führern nicht einmal so sehr übel, daß sie so handeln.
Eine gewisse Entschuldigung dafür sehe ich in dem Kokettieren gewisser ge-
lehrter Kreise mit der Sozialdemokratie, mit der Revolution. Diese Herren
herrschen von ihrem Katheder ebenso unumschränkt wie die Führer der
Sozialdemokratie. Jeder Dozent der Nationalökonomie, der sich ihrer Rich-
tung nicht anschließt, wird als unwissenschaftlich verschrieen, wird boykottiert
und kommt in keine gute Professur hinein. Von diesen Herren stammt
auch die Phrase von dem berechtigten Kern der Sozialdemokratie; denn
was berechtigt daran ist, ist gar nicht spezifisch sozialdemokratisch, im
Gegenteil, alles, was die andern Parteien zum Wohle und zum Schutze