Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Elfter Jahrgang. 1895. (36)

4 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 9.) 
dieses Gesetz fallen! Nun weiß ich wohl, was mir der Staatssekretär des 
Reichsjustizamts darauf erwidern wird. Er wird sagen: es müsse auch die 
rechtswidrige Absicht festgestellt sein. Allein damit wird der Willkür doch 
ein zu weiter Spielraum gelassen. Das Anpreisen aller Verbrechen soll 
strafbar sein, die überhaupt jemals in der Welt begangen worden sind, im 
In= und Auslande, vor und nach der Sündflut. Uns könnte das ja in 
mancher Beziehung recht sein. Den Katholiken würde es dann erspart 
bleiben, sich dagegen zu wehren, daß ein Mordbrenner, ein schwedischer 
Franktireur hier in Deutschland verherrlicht wird (Lebhafte Zustimmung 
im Zentrum, große Unruhe rechts und links), wie wir im letzten Monat 
haben erleben müssen. (Fortdauernde Unruhe). Das würde unter den Be- 
griff der Anpreisung des Hochverrats fallen. Aber ebenso hätte dies Gesetz 
Anwendung finden müssen, wenn zu den Zeiten, wo gegen katholische Priester 
und auch Bischöfe im Wege des Zwanges eingeschritten wurde, die Gemeinde 
ihrem Pfarrer, ihrem Bischof beigestanden hätte und wenn eine Zeitun 
dies gerühmt hätte. Die ganze Fassung des § 111a läßt erkennen, daß 
man nur das, was die kleinen Leute sagen, treffen will. Die Redner in 
den kleinen Volksversammlungen sind nicht zum hundertsten Teil so gefähr- 
lich und so schuldig wie die Redner auf dem Katheder. Das Beispiel von 
oben ist viel verführerischer. Was ein Professor mit einem ganzen Wust 
von Zitaten, einem Heuwagen voll Belegen vorbringt, das imponiert dem 
Deutschen viel mehr, als was ein einfacher Mann mit bloßer Volksschul- 
bildung spricht. Redner führt als Beispiele für die Gefährlichkeit der 
Professoren ein Gutachten des Jenenser Professor Ernst Häckel an, worin 
die unbeschränkte akademische Freiheit „ohne Rücksicht auf religiöse Vor- 
urteile“ gefordert wird, ferner Zitate aus Schriften von den Berliner Pro- 
fessoren Döring und Förster. Ersterer hat die Lehre von der Dreieinigkeit 
als nicht weit vom Polytheismus entfernt bezeichnet. Die Ansichten über 
die Entstehung der Ehe, die die Schriften der Darwinianer mit den affen- 
ähnlichen Vorfahren durchziehen, weichen von den unserigen wesentlich ab. 
(Heiterkeit.) Die gelehrten Werke bilden das Arsenal für die Herren Sozial- 
demokraten. (Aha ! links. Beifall.) Würde die Vorlage Gesetz, so müßte 
sie zunächst auf die vom Staate bezahlten Professoren angewandt werden. 
Die Rettung liegt darin, daß die Religion dem Volke erhalten bleibt. Wir 
treten auch gern mit in die Schranken für Religion, Sitte und Ordnung 
gegen den Umsturz. Zuvor verlangen wir aber, daß für diesen Kampf 
unsere gebundenen Hände freigemacht werden. Unsere Pfarrer kämpfen für 
Erhaltung der Religion. Wie sollen sie es aber in den polnischen Landes- 
teilen mit Erfolg thun, wenn sie nicht in der Muttersprache zu den Leuten 
reden dürfen? (Beifall im Zentrum.) Die Sitte wollte man wiederholt 
stärker schützen; man machte Vorlagen, ließ sie aber fallen. Dafür brauchte 
man alljährlich neue Militärvorlagen, diese sollen die Sittlichkeit schützen! 
(Beifall und Heiterkeit.) Sorgen Sie für die Religion! Wenn die Leute 
nicht mehr an die Unsterblichkeit, an Gott glauben, wie wollen Sie sie ver- 
anlassen, opferwillig und gehorsam zu sein? (Beifall.) Die Kirche allein 
kann Rettung bringen, sie allein kann die höhern Stände veranlassen, den 
untern Ständen mit gutem Beispiel voranzugehen. Was für den einzelnen 
Menschen gilt, das gilt auch für ganze Völker: Es giebt kein Heil außer 
in Jesus Christus. 
Staatssekr. Rieberding wendet sich gegen den Abg. Gröber, hofft 
aber mit ihm in der Kommission zur Verständigung zu gelangen. Die 
Regierung wolle durch die Vorlage nicht zu Strafen Anlaß geben, 
die dem Rechtsbewußtsein widersprechen, sondern nur den Staat schützen. 
Ein Eingriff in die Unterrichtsfreiheit könne nicht stattfinden. 
  
 
	        
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