Das Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 5.) 13
der europäischen stehen; denn die überseeische Politik sei ein Ausfluß der
europäischen. Wir könnten nicht in Europa der Hort des Friedens sein
und über See Händel suchen, das seit 25 Jahren gewonnene und erhaltene
Vertrauen aller Nationen zu unserer Friedensliebe würde bald verloren
gehen. Wohl aber müsse eine große Nation, wie die deutsche es sei, ent-
schlossen und im stande sein, ihre überseeischen Interessen zu schützen, und
dazu gehöre eine starke Kreuzerflotte. Es sei nicht wunderbar, daß jetzt
alle Nationen mit überseeischen Interessen sich mit der Frage beschäftigen,
ob ihr maritimes Rüstzeug genügend im stande sei. Denn in den letzten
10 Jahren seien in überseeischen Gebieten große Veränderungen eingetreten,
man brauche nur auf den Orient, Ostasien, Südamerika, Kuba und Afrika
zu verweisen. Deshalb müßten auch wir uns die Frage vorlegen, ob wir
angesichts der zukünftigen Eventualitäten, angesichts der Bedürfnisse in
Gegenwart und Zukunft in der Lage sind, einen genügenden Schutz unserer
überseeischen Interessen zu besitzen. Für die Herstellung eines solchen
Schutzes werde die Nation auch die Mittel bewilligen. Das Bedürfnis an
Kreuzern läßt sich nicht in fest bestimmten Formeln und Zahlen ausdrücken,
da die in Frage stehenden überseeischen Interessen in der Entwickelung be-
griffen, veränderlich und, wenn man wolle, auch „uferlos“ seien. Die
Kreuzerflottille müsse genügend Schiffe haben, um Stationen da zu errichten,
wo deutsche Interessen im großen Umfange vorhanden seien, um an solchen
Stellen recht häufig unsere Flagge zu zeigen und bei außerordentlichen
Ereignissen, wie Revolutionen und Kriegen zwischen dritten Staaten, zum
Schutz der deutschen Interessen auch mit Gewalt einzugreifen. Auch bei
uns hätten sich in den letzten 10 Jahren unsere überseeischen Interessen in
ganz außerordentlicher Weise entwickelt, dazu sei noch die Kolonialpolitik
hinzugetreten, und selbst ihre Gegner werden doch mit dieser Thatsache
rechnen und das bewilligen müssen, was dort zur Aufrechterhaltung der
Autorität des Reichs notwendig sei. Handel, Schiffahrt über See, Küsten-
schiffahrt seien gewachsen, deutsche Kapitalien seien in erheblichem Maße
über See angelegt, und der Strom der Auswanderung sei ein beträcht-
licher. Jetzt sei ein neues Auswanderungsgesetz in Vorbereitung begriffen;
eines seiner wichtigsten Ziele sei, Maßregeln zu ergreifen, um die Deutschen
dem Deutschtum zu erhalten. Auch dazu diene der deutsche Kreuzer; denn
nichts sei so geeignet, in dem Deutschen im Auslande die Erinnerung an
das Vaterland zu stärken, wie das Erscheinen des Kreuzers, der die Bande
wieder neu knüpfe und den Geist der Vaterlandsliebe stärke. Der Kreuzer
zeige der fremden Macht, daß hinter den lokalen deutschen Interessen die
Macht des Deutschen Reiches stehe. Endlich kämen dazu die zahlreichen
Missionen, deren Beruf gerade in jenen überseeischen Ländern mit großen
Gefahren verbunden sei und deshalb eines besonderen Schutzes bedürfe.
Wir hätten in unserer friedlichen Expansion über See viel geleistet und
müßten in Zukunft viel und noch mehr leisten. Der Abg. Richter habe
neulich einmal hervorgehoben, daß unser überseeischer Handel zum größten
Teil nach Ländern mit großer Zivilisation ginge, wo wir einen Schutz
durch Kreuzer nicht nötig hätten. Richtig sei diese Bemerkung, soweit etwa
die Vereinigten Staaten oder eine englische selbständige Kolonie in Betracht
komme. Trotzdem sei der Einwand nicht stichhaltig. Wir müßten uns
allmählich mit dem Gedanken vertraut machen, daß unsere Ausfuhr nach
jenen hochzivilisierten Ländern des Westens und Ostens den Zenith erreicht
habe und sich in absehbarer Zeit in absteigender Linie bewegen werde, weil
in jenen Gebieten mit einer kräftigen wirtschaftlichen Entwickelung der Ge-
danke und die Fähigkeit gewachsen sei, sich von Europa mehr und mehr
unabhängig zu machen. Wir würden also unsere Expansion mehr und mehr