Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

14 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 20. 21.) 
Verbindung leide, wie die vielen Eisenbahnunfälle beweisen. Diese Frage 
müsse eine besondere Eisenbahnkommission prüfen. Abg. Motty (Pole) 
beschwert sich über die Unterdrückung der Polen; der Etat enthalte einen 
neuen Fond zur Bekämpfung der Polen, trotzdem diese für die Begründung 
des Deutschen Reiches mitgekämpft hätten. 
Am 19. Januar beantragt Abg. Sattler (nl.), den Spezial-Etat 
der Eisenbahnverwaltung nicht an die Budgetkommission, sondern an eine 
besondere Kommission von 21 Mitgliedern zu überweisen. Dieser Antrag 
wird abgelehnt, der Etat wird, nachdem die Kommunalsteuerfrage noch von 
mehreren Rednern, u. a. vom Finanzminister, behandelt worden ist, an die 
Budgetkommission verwiesen. 
20. Januar. Zentrum und Flottenvorlage. 
Die „Germania“ veröffentlicht folgende partei-offiziöse Erklärung: 
In ihrer vorgestern abgehaltenen ersten Sitzung seit Wiederbeginn der Ge- 
schäfte hat die Zentrumsfraktion des Reichstages mit Rücksicht auf die seit 
der ersten Lesung der Marinevorlage hervorgetretenen schriftlichen und münd- 
lichen Aeußerungen einzelner Parteifreunde sich abermals mit dem Flotten- 
gesetz beschäftigt und ist dabei einmütig zu dem Ergebnisse gekommen, daß 
zur Zeit keine Veranlassung für sie vorliegt, von dem durch den Fraktions- 
redner der ersten Lesung, Herrn Abgeordneten Dr. Lieber, dargelegten 
Standpunkte abzugehen. Hiernach wird sie erst nach sorgfältiger Prüfung, 
zu der das Material noch lange nicht vollständig genug vorliegt, und die 
naturgemäß erst nach dem Ergebnisse der Kommissionsberatung stattfinden 
kann, zu der Vorlage im einzelnen wie im ganzen Stellung nehmen. 
20./21. Januar. (Reichstag.) Antrag Pachnicke auf Auf- 
hebung aller der Koalitionsfreiheit noch entgegenstehenden Gesetzes- 
vorschriften. Debatte über Arbeiterschutz, Ausdehnung der Frauen- 
rechte. Weibliche Fabrikinspektoren. 
Abg. v. Stumm (RP): Allerdings seien die Arbeiter durch das 
Verbindungsverbot für Vereine behindert. Aber wir sind ja alle bereit, 
das Verbindungsverbot aufzuheben, und es besteht nur der Streit, ob dafür 
nicht irgend welche Korrelate zu verlangen sind, durch welche die Sozial- 
demokratie gar nicht beeinträchtigt wird. Der Redner tadelt die evangelischen 
Arbeitervereine, die den sozialdemokratischen nahe ständen. Abg. Fischer 
(Soz.): Die Regierung sei nur Sachwalterin der Unternehmerinteressen, da- 
her auch der Erlaß des Grafen Posadowsky. Arbeiter und Arbeitgeber 
würden nach zweierlei Recht behandelt. Die kaiserlichen Erlasse von 1890 
seien unerfüllt geblieben, man könne sie daher für ein Wahlmanöver halten. 
Die Fürsorge für die Arbeiter sei gering, die Menschenverluste auf dem 
Schlachtfelde der Industrie entsetzlich. Hierauf erwidert Staatssekretär Graf 
Posadowsky: Der Herr Abg. hat auf Grund der Unfallstatistik darauf 
hingewiesen, daß im letzten Jahre 7000 Arbeiter auf dem Schlachtfelde der 
Arbeit geblieben seien. Gewiß, meine Herren, eine sehr betrübliche Zahl! 
Was soll denn aber daraus folgen? Will der Herr Abgeordnete daraus 
folgern, daß überhaupt keine Arbeiten im Interesse der gesamten Kultur, 
der gesamten bürgerlichen Gesellschaft vorgenommen werden, die lebensge- 
fährlich sind? (Widerspruch links.) Gibt es ein Mittel, dies zu verhindern? 
Wenn er daraus deduzierte, wir müssen den Schutz gegen die Unfallgefahr 
verstärken, wenn er darauf eigene positive Vorschläge baute, so ließe man 
sich das gefallen; aber mit der einfachen Zahl ist absolut nichts zu machen. 
Ich habe auch einen Artikel in einem Organ der sozialdemokratischen Partei 
 
	        
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