Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

FKra##treich. (Januar 22.) 271 
Verwirrung vorzubereiten. (Lärm auf der Rechten.) In den gegen Zola- 
ergriffenen unvollstäudigen Maßregeln liege ein Blendwerk. (Beifall auf 
der äußersten Linken.) Der Deputierte Graf de Bernis (kons.) warf 
Jaureès vor, der Anwalt des Dreyfus-Syndikats zu sein. Der Deputierte 
Jaures entgegnet: „Sie find ein Elender und ein Feigling.“ Der Deputierte 
Graf de Bernis eilt auf die Tribüne zu, aber mehrere Sozialisten stürzen 
sich auf ihn. Es kommt dabei zu Faustkämpfen. Graf de Bernis gelangt 
bis zur Tribüne und schlägt auf Jaurès ein. Die Konservativen und 
Sozialisten stürzen ebenfalls auf die Tribüne zu, und es entsteht ein all- 
gemeines Handgemenge. Der Kammer-Präsident Brisson war nicht im 
stande, die Ruhe wiederherzustellen, und verließ seinen Sitz mit dem Be- 
merken, er wolle den Ober-Staatsanwalt von dem Vorgefallenen benach- 
richtigen. Während der Unterbrechung der Sitzung tritt das Bureau der 
Kammer zusammen, um darüber zu beraten, ob man dem Ober-Staats- 
anwalt die vorgekommenen Zwischenfälle unterbreiten solle. Das Bureau 
beschäftigt sich weiter mit der Frage, ob es angesichts der großen Erregung 
der Gemüter angezeigt erscheine, die Sitzung wieder aufzunehmen. Es wird 
beschlossen, dem Ober-Staatsanwalt anzuzeigen, daß sich die Deputierten 
Graf de Bernis und Gérault-Richard in der Kammer ein Vergehen hätten 
zu schulden kommen lassen. Auf Ersuchen des Präsidenten Brisson traten 
hierauf alle Gruppen der Kammer zusammen, um über die Frage zu be- 
raten, ob es angezeigt sei, die Sitzung wieder aufzunehmen. Die Ansichten 
waren geteilt; da aber die Majorität der Befürchtung Ausdruck gab, die 
häßlichen Szenen könnten sich wiederholen, so entschied sich der Präsident 
Brisson dafür, auf seine Verantwortung hin die Sitzung nicht wieder zu eröffnen. 
Als der Präsident Brisson den Präsidentensitz verlassen hatte und 
der Wirrwarr zuzunehmen schien, sah man in den Wandelgängen der 
Kammer eine Kompagnie Soldaten ohne Waffen erscheinen, welche von den 
Quästoren herbeigerufen worden war; angesichts der Proteste mehrerer Ab- 
geordneten zogen sich die Soldaten jedoch wieder zurück. Einige Deputierte 
drohen, den Vorfall in der Kammer zur Sprache zu bringen. — Als die 
Sitzung unterbrochen worden war, war der Befehl erteilt worden, die 
Zuhörertribüne zu räumen, auf der man sich gegenseitig beschimpfte, sich 
gegenseitig interpellierte und auf der einige Journalisten sogar handgemein 
geworden waren. — Zu einem weiteren Zusammenstoß kam es in den 
Wandelgängen zwischen dem Grafen de Bernis und dem Abg. Deville. 
Letzterer versuchte, dem Grafen de Bernis ein Tintenfaß an den Kopf zu 
werfen, indem er ihn beschimpfte. Einige Zuschauer traten dazwischen und 
verhinderten ein Handgemenge. 
Am 24. wird die Debatte fortgesetzt. Jaures (Soz.) erklärt: 
Warum eine Armee unterhalten, wenn es nicht gestattet ist, einzugestehen, 
daß ein Offizier einer benachbarten Macht Dokumente mitteilte? (Beifall 
auf der äußersten Linken.) Jaureès kommt dann auf Kiel und den äußersten 
Orient zu sprechen und wirft der Regierung ihren Kleinmut vor (Wider- 
spruch), erinnert an den in Deutschland geführten Prozeß gegen Degony 
und gibt seiner Verwunderung Ausdruck, daß man in Frankreich nicht mit 
derselben Freiheit urteilen und richten könne. Redner hebt die auch in 
dem Esterhazy Prozeß vorgekommene, in der Verhandlung bei verschlossenen 
Thüren liegende Unregelmäßigkeit hervor und behauptet, die Republik be- 
finde sich seit 16 Jahren in den Händen der Hochfinanz. Er wirft der 
Majorität vor, daß sie die Republik der militärischen und klerikalen Re- 
aktion ausliefere, und erklärt, die Sozialisten würden die Republik ver- 
teidigen. (Vereinzelter Beifall.) 
Nach weiterer Debatte erhält die Regierung ein Vertrauensvotum.
	        
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