Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 23. 24.) 115
23. Juni. Der Reichstag wird bis zum 14. November
vertagt.
Seit den Reichstagswahlen sind folgende Personalveränderungen
erfolgt: Es sind zwei Mandate erledigt, das des Abg. Lotze für Pirna
(Reformpartei), das für ungültig erklärt wurde, und das des Abg. Brodbek
für Eßlingen (Deutsche Volkspartei), der ausschied, nachdem die Wahl-
prüfungskommission die Ungültigkeit seiner Wahl beantragt hatte. Schon
vor der Einberufung des Reichstags waren vier Abgeordnete gestorben:
Dr. v. Cuny, Kreuznach (nl.), b. Plötz, Pyritz (kons.), Graf v. d. Decken,
Nienburg (Welfe), und Biesantz, Schaumburg (fr. Volksp.). Sie wurden,
gleichfalls noch vor Einberufung des Reichstags, ersetzt durch Professor
Paasche, Rittergutsbesitzer Frhrn. v. Wangenheim, Major a. D. Frhrn.
v. Schele und Kammergerichtsrat a. D. Müller. Eine Verschiebung in den
Parteiverhältnissen trat durch diese Ersatzwahlen nicht ein. Während der
ersten Session des Reichstags starben die Abgg. Dieden (Bernkastel, Z.),
b. Arnswald-Böhme (Melle-Diepholz, Welfe), Rath (Neuß, Z.) und Franzius
(Emden, nl.). Die Abgg. Kreitling (Berlin II, fr. Dp.) und Eßlinger
(Bayer. Bauernbund) legten ihre Mandate nieder, der erstere, weil seine
Wahl von der Wahlprüfungskommission für ungültig erklärt wurde. Sie
wurden ersetzt durch Gutsbesitzer Biesenbach (Z.), Hofbesitzer Wamhoff (nl.),
Rechtsanwalt Am Zehnhoff (Z.), Graf zu Inn= und Knyphausen (kons.),
Fischer (Soz.) und Echinger (Z.). Es haben demnach die Welfen, die
Freisinnige Volkspartei und der Bayerische Bauernbund je ein Mandat
verloren, die Konservativen, die Sozialdemokraten und das Zentrum je
eins gewonnen. Die Nationalliberalen verloren und gewannen je ein
Mandat. („Leipz. Tagbl.“)
Resultate der Reichstagssession.
Folgende Gesetze sind vom Reichstage und Bundestage angenommen
worden: Gesetz über Kontrolle des Reichshaushalts von Elsaß-Lothringen
und den Schutzgebieten (Deutsch. Reichsgesetzbl. 6). — Ges. über Abänderung
des Zolltarifs (7). — Ges. über Errichtung eines bayerischen Senats beim
Reichsmilitärgericht (8). — Etatsgesetz (10). — Ges. über eine Anleihe für
Zwecke der Verwaltung des Reichsheeres (10). — Ges. über Schulden-
tilgung (10). — Ges. über Haushalt der Schutzgebiete (10). — Ges. über
Friedensstärke des Heeres (11). — Ges. über Abänderung des Reichsmilitär-
gesetzes vom 2. Mai 1874 (11). — Ges. über Abänderung des Bankgesetzes
(23). — Gebührenordnung für den Kaiser-Wilhelm-Kanal (24). — Ges.
über Flaggenrecht der Kauffahrer (24). — Ges. über Nachtragsetat für
1899 (25). — Ges. über Nachtragsetat für die Schutzgebiete (25). — Ver-
wendung des Invalidenfonds (27). Ges. über einen zweiten Nachtrags-
etat für die Schutzgebiete (27). — Aufnahme einer Anleihe (27). — Ges.
über Handelsbeziehungen zum britischen Reiche (27). — Ges. über Ab-
änderung der Rechtsverhältnisse der Schutzgebiete (29). — Ges. über die
Hypothekenbanken (32). — Invalidenversicherungsgesetz (33).
24. Juni. Das Preußische Abgeordnetenhaus genehmigt
die Vorlage über die Feier des Karfreitags in folgender Fassung:
„Der Karfreitag hat die Geltung eines bürgerlichen allgemeinen
Feiertages. — In Gemeinden mit überwiegend katholischer Bevölkerung
soll die bestehende herkömmliche Werktagsthätigkeit am Karfreitag nicht
verboten werden; es sei denn, daß es sich um öffentlich bemerkbare oder
geräuschvolle Arbeiten in der Nähe von dem Gottesdienst gewidmeten Ge-
bäuden handelt.“ 8*