Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

    Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 12./13.)        1
 
           Abg. v. Stumm (RP.): Die Kosten der Vorlage überschritten nicht 
die Leistungsfähigkeit Deutschlands. Hätten wir nicht für unsere Rüstungen 
die zwei Milliarden ausgegeben, so hätten wir längst den Krieg. Man 
hätte die Schuldenvermehrungen vermeiden können, wenn wir jährlich 
40 Millionen mehr aus der Tabaksteuer hätten verwenden können. Wir 
sind dazu bereit gewesen, aber die Mehrheit des Reichstags hat das ab- 
gelehnt. Die Reichsschulden sind aber gar nicht bedenklich, denn die Staats- 
schulden in Preußen sind ja nur nominell, weil sie reichlich durch die Eisen- 
bahnen, Bergwerke u. s. w. gedeckt sind. Ich behaupte, es gibt gar keine 
produktivere Anlage, wie die Armee. (Heiterkeit links.) Denn sie dient 
dem Schutze und der Sicherheit des Landes; an der Sicherheit des Landes 
haben alle erwerbenden Klassen ein großes Interesse. Abg. v. Levetzow 
(kons.): Die Vorlage enthält Inkonsequenzen und Widersprüche (Hört! 
links), über die man sehr schwer hinwegkommt. Es scheint mir, daß hier 
ein A gesagt wird, dem ein B folgen soll, das noch nicht genannt ist. 
Wie steht es mit der fehlenden 5. Schwadron bei den Jägern zu Pferde? 
Wenn man diese Lücken und Unklarheiten sieht, so kommt man zu der 
Vermutung, daß die Regierung uns noch weitgehende Zukunftspläne zu- 
muten will. Wenn man A sagen soll und dabei die Empfindung hat, daß 
ein B nachfolgen wird, dann möchte man gern wissen, wie das B aussieht. 
(Heiterkeit.) Ich mache dem Kriegsminister keinen Vorwurf, aber den 
Wunsch darf der Reichstag doch aussprechen: Wenn bei der Flotte sich 
solche Gründungspläne für längere Zeit aufstellen ließen, müßte es auch 
beim Heere möglich sein. Ich bin überzeugt, daß in der Kommission im 
großen Ganzen das, was ich vermisse, von der Kriegsverwaltung beschafft 
werden wird. Ich kann im Namen meiner Freunde erklären, daß wir je 
nach den Erklärungen, die dort hierüber abgegeben werden, unsere Abstim- 
mung über die Vorlage einrichten werden. Die Frage der zweijährigen 
Dienstzeit läßt die Vorlage in suspenso, weil Erfahrungen darüber, ob 
mit der zweijährigen Dienstzeit auf die Dauer auszukommen sei, noch nicht 
vorliegen. Auch von Ihnen weiß das keiner, Sie können sich sämtlich 
darüber nicht klar sein. Es soll nun ein Korrektiv gesucht werden, um 
gewisse Mängel der zweijährigen Dienstzeit auszugleichen, namentlich den 
Mangel an ausreichendem Ausbildungspersonal aus Leuten im dritten 
Jahrgange. Es sollen Leute veranlaßt werden, länger als zwei Jahre zu 
dienen. Ja helfen wird's nicht (Heiterkeit), wir haben Aehnliches mit dem 
vierjährigen Freiwilligendienst bei der Kavallerie, und davon soll auch kein 
Gebrauch gemacht sein. Eine endgültige Probe auf die zweijährige Dienst- 
zeit werden wir im Frieden schwerlich machen können, sondern vielleicht 
erst in einem unglücklichen Kriege. Ich will das nicht aussprechen, aber 
für den Augenblick wäre es ein Leichtsinn, die zweijährige Dienstzeit fest- 
zulegen. 
            Am folgenden Tage wendet sich Abg. Bebel (Soz.) gegen die Vor- 
lage. In den letzten zwei Jahren hat sich eine vollständige Verschiebung 
der politischen Zustände gezeigt; in einem Kriege Rußlands und Frank- 
reichs gegen Deutschland würde England jetzt eine große Rolle spielen aus 
eigenstem Interesse. Die Verhältnisse zwingen Rußland dazu, jeden Krieg 
zu vermeiden. Die russische Landwirtschaft hat mehrere schwere Notjahre 
hinter sich; der russischen Wirtschaft fehlt es an Kapital, die Finanzlage 
ist eine sehr bedenkliche; deshalb kann Rußland an einen Krieg im großen 
Stil nicht denken. Auch die orientalische Frage liegt heute so günstig, daß 
auf Jahre hinaus keine ernsthaften Verwicklungen daraus entstehen werden. 
Frankreich fühlt sich auch wohl nicht in der Lage, allein einen Krieg gegen 
Deutschland zu beginnen. Deutschland befindet sich vor Frankreich in einem
	        
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