Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 12./26.) 27
minister Dr. Holle: Den Ordensniederlassungen komme die Regierung, wie
die Statistik zeige, weit entgegen. In Gebieten, wo nationaler Kampf
herrsche, müsse aber vorsichtig verfahren werden. — Abg. Friedberg (nl.)
tadelt, daß die Regierung in Liegnitz der Gesellschaft für Volksbildung
Schwierigkeiten mache, obgleich diese lobenswerte Zwecke verfolge und vom
Kaiser selbst subventioniert werde. Daß sie auch sozialdemokratische und
modern naturalistische Bücher in ihrer Bibliothek habe, sei nicht zu ver-
meiden und unschädlich; sonst würden die Massen diese Lektüre sich auf
andere Weise verschaffen und der Gesellschaft grundsätzlich mißtrauen. Da-
mit würde ihr guter Zweck illusorisch. Ferner polemisiert er gegen eine
frühere Aeußerung des Ministers, daß in der Regel der Geistliche Orts-
schulinspektor sein werde. — Abg. Frhr. v. Heydebrand (kons.): Bücher
von Häckel und Nietzsche gehörten nicht in die Volksbibliothek. Auf dem
Lande sei der Geistliche der beste Ortsschulinspektor. — Kultusminister
Dr. Holle: In der Gesellschaft für Volksbildung handle es sich nicht um
eine wissenschaftliche sondern um eine Volksbibliothek; deshalb gehörten
Bücher von Häckel und ähnliche nicht hinein. Der Verein wolle sie auch
ausmerzen. In Bezug auf die Ortsschulinspektion habe ich den Stand-
punkt vertreten, daß Kirche und Schule zusammengehören. Ich halte es
für erforderlich, daß beide zusammen die Erziehung des Volkes zu leiten
haben. Daher habe ich den Wunsch, die Ortsschulinspektion so zu gestalten,
wie es die Volksschule erfordert. In der Kreisinstanz soll dem haupt-
amtlichen Kreisschulinspektor speziell das Fachmännische und Technische
übertragen werden, damit die Lehrer nach einheitlichen Anweisungen ver-
fahren. Da nun der Ortsschulinspektor seit Jahrzehnten besteht, so wäre
es unvorsichtig von mir, wenn ich bei der Neuorganisation von vornherein
auf den Ortsschulinspektor verzichten wollte. Ich lege vielmehr Wert dar-
auf, die größere Bürgschaft dadurch zu haben, daß ich an Ort und Stelle
noch einen zweiten Vertrauensmann habe, und wenn ich auf diese Garantie
nicht verzichten darf, so muß ich den Ortsschulinspektor konservieren. Auch
ohne daß das Vorgesetztenverhältnis zur Geltung zu kommen braucht,
werden sich Lehrer und Geistliche freundlich zusammenfinden. Es mögen
ja Verhältnisse vorkommen, wo das nicht gelingt, aber man sollte meinen,
daß es häufig dem jungen Lehrer, der in eine Gegend kommt, die er noch
nicht kennt, selbst erwünscht sein muß, in dem Geistlichen einen zuverlässigen
Berater zu haben. Allerdings ergibt sich aus dem Begriff der Ortsschul-
aufsicht, daß der Geistliche in gewissem Maße auch der Vorgesetzte sein muß.
Ich kann nur dankbar sein für die Gesichtspunkte, die heute hier hinein-
geworfen sind. Seien Sie überzeugt, daß ich vorsichtig vorgehen und prüfen
werde; es wird sich später herausstellen, was daraus wird.
13. Februar. Abg. Metzenthin (kons.) beschwert sich, daß die kri-
tische Richtung der Theologie vor der positiven bei Besetzung der Lehr-
stühle bevorzugt werde. — Kultusminister Dr. Holle: Es müsse eine
institia distributiva stattfinden. — In den folgenden Sitzungen werden
meist Einzelfragen behandelt.
In der Presse wird der Kultusminister wegen seiner Aeußerungen
über die theologischen Professuren vielfach angegriffen. Die „Norddeutsche
Allgemeine Zeitung“ erklärt, die Angriffe gingen meist auf falsche Berichte
zurück. Er habe nicht gesagt, wie ihm untergelegt werde, man müsse „an
dem christlichen Charakter unserer Universitäten“ unbedingt festhalten,
sondern: „Die Verschiedenheiten der Richtungen innerhalb der evangelischen
Theologie müssen einen befriedigenden Ausgleich finden in den Persönlich=
keiten der akademischen Lehrer, die mit wissenschaftlicher Tüchtigkeit ein
warmes Herz für die evangelische Kirche verbinden und sich dessen bewußt