Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Türkei. (Juli 20.— August 19.) 637 
20. Juli. Die Pforte hat an ihre Vertreter im Auslande ein 
Zirkulartelegramm gerichtet, durch das sie beauftragt werden, den 
Mächten mitzuteilen, die Pforte sehe sich infolge der gegenwärtigen 
Lage genötigt, die Linie Maritza—Adrianopel zu besetzen, welche 
Maßnahme für die Sicherheit Konstantinopels notwendig sei. 
21. Juli. Besetzung von Lüle Burgas durch die türkische Armee. 
22. Juli. Adrianopel ist von den Türken besetzt. 
29. Juli. Der Thronfolger und Prinz Ziaeddin sind in Adria- 
nopel eingetroffen. 
7. August. Die Botschafter der sechs Mächte überreichten dem 
Großwefir eine identische Verbalnote bezüglich Adrianopel: 
„Auf Weisung meiner Regierung bin ich beauftragt, mit größter 
Entschiedenheit der Kaiserlichen Regierung die Achtung vor der Aufrecht- 
erhaltung der mit dem Londoner Vertrag aufgestellten Grundsätze, nament- 
lich jener Bestimmung, die sich auf die Grenzlinie Enos—Midia bezieht, 
in Erinnerung zu bringen. Gleichzeitig bin ich ermächtigt, Eurer Hoheit 
zu erklären, daß die Mächte bei der Abgrenzung geneigt wären, die Be- 
dingungen, die die Kaiserliche Regierung als zur Sicherung dieser Grenze 
unerläßlich erachtet, in Erwägung zu ziehen."“ 
11. August. Die Antwort der Türkei auf die identische Note: 
„In Beantwortung der Erklärung, die Ew. Exzellenz mir im Namen 
Ihrer Regierung abzugeben die Güte hatte, beeile ich mich, zu versichern, 
daß die Kaiserliche Regierung ständig bemüht ist, unabhängig von jeder 
Erwägung sich nach den im Londoner Vertrage niedergelegten Grundsätzen 
zu richten. Wenn nichtsdestoweniger die Bestimmung der Linie Enos— 
Midia von ihr nicht nach dem Beispiel der anderen Bestimmungen des 
Vertrages respektiert werden konnte, so geschieht dies, weil sich die Pforte 
der gebieterischen dringenden Notwendigkeit gegenüber befunden hat, ein- 
zuschreiten, um die systematische Ausrottung von Bewohnern zu verhindern, 
deren einziges Unrecht darin bestand, sich jenseits der Linie Enos—Midia 
zu befinden. Sie hat sich außerdem der nicht minder gebieterischen Not- 
wendigkeit gegenüber befunden, sich eine Grenzlinie zu sichern, welche die 
Sicherheit der Hauptstadt und der Dardanellen verbürgen kann und infolge- 
dessen die Herstellung normaler und dauernder Beziehungen zwischen den 
benachbarten Staaten gestattet. Ich stelle mit lebhafter Dankbarkeit fest, 
daß Ew. Exzellenz in Ihrer Erklärung diese Notwendigkeit zugibt; denn ich 
gestatte mir, hierin die Rechtfertigung der von der Pforte befolgten Richt- 
linien zu erblicken. Indem ich auf den hohen Gerechtigkeits- und Billigkeits- 
sinn der Mächte vertraue, hoffe ich zuversichtlich, daß sie auch werden zu- 
geben wollen, daß die Grenzlinie, welche die Pforte in der Mitteilung vom 
19. Juli sich vorzeichnet, die einzige ist, welche die erforderliche Bedingung 
der Sicherheit der Hauptstadt und der Meerenge erfüllen kann.“ 
19. August. Die Pforte läßt durch eine Zirkulardepesche an 
ihre Botschafter den Mächten eine neue Liste von bulgarischen Greuel- 
taten in Thrazien, und zwar besonders in den von den griechischen 
Truppen geräumten Gebieten, die vollständig verwüstet seien, unter- 
breiten.
	        
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