Türkei. (Dezember 3.—15.) 641
3. Dezember. (Konstantinopel.) Der „Tanin“ wendet sich
gegen die russisch-französischen Preßkommentare über die deutsche
Militärmission und äußert sein Erstaunen darüber, daß eine Groß-
macht wie Rußland, die das Verlangen nach einer Reform der
Türkei so weit treibe, über diese Frage in solchem Grade erschrecke.
Die Pforte wolle die Armee, welche ihre einzige Garantie bilde,
reformieren. Hierzu seien deutsche Offiziere am geeignetsten, weil sie bereits
in der türkischen Armee zu dienen gewohnt seien. Dies sei der einzige
Grund der Bevorzugung Deutschlands, was weder eine Hineigung noch
eine Abneigung gegenüber der deutschen Politik und höchstens engere Be-
ziehungen mit der deutschen Armee bedeute, nicht aber, daß andere Heere
minderwertiger seien als das deutsche.
9. Dezember. (Konstantinopel.) Der Oberstleutnant Ismet
Bey wurde wegen schwerer politischer Vergehen zum Tode verurteilt
und in der Kaserne Daud Pascha füsiliert.
9. Dezember. Der Marineminister zahlte für den im Februar
fertigzustellenden Dreadnought „Reschadie“ aus der Perierschen Bons-
transaktion die drittletzte Rate mit 125000 Pfund an die Firma
Armstrong.
13. Dezember. Dem Schritt der Botschafter Rußlands, Frank-
reichs und Englands wegen der deutschen Militärmission beim Groß-
wesir liegt, wie die Botschafter ausdrücklich betonen, nur ein in-
formatorischer Charakter zugrunde.
14. Dezember. (Konstantinopel.) Die deutsche Militär-
mission ist unter Führung des Generals Liman v. Sanders ein-
getroffen und feierlich empfangen worden.
15. Dezember. Der Großwesir antwortet den Botschaftern auf
die von ihnen gewünschten Informationen:
Der deutschen Militärmission liegt keinerlei politischer Zweck zu-
grunde. Sie ist beauftragt, sich mit der Reorganisation der militärischen
Bildungsanstalten und des ersten Armeekorps, das eine Art Modellkorps
werden soll, zu befassen. Die Obhut über die Meerenge werde in die
Aufgaben der Mission nicht einbezogen.
15. Dezember. (Konstantinopel.) Dem Empfang der deutschen
Militärmission beim Sultan schloß sich eine Privataudienz des
Generals Liman v. Sanders beim Sultan an, bei der der General
die Grüße des Deutschen Kaisers übermittelte.
15. Dezember. Das Kriegsministerium hat an alle Armee-
korps ein Rundschreiben gerichtet, in dem es heißt, daß General
Liman v. Sanders für die Dauer von fünf Jahren in türkische
Dienste genommen worden sei, und zwar als Chef einer Reform-
mission; er werde das Kommando des I. Armeekorps, das in Kon-
Europäischer Geschichtskalender. LIV. 41