Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 7.) 55 
hören können. Ich bin der erste, der eine Verständigung mit England be- 
rüßen würde. Bergleiche über das Stärkeverhältnis, zu machen, ist sehr schwer. 
 Die Schiffszahl allein gibt keinen richtigen Vergleich. Es kommt dazu 
der Schiffstyp, das Lebensalter der Schiffe und andere Faktoren, die 
sich zn schwer vergleichen lassen. Der englische Marineminister Churchill hat 
im vorigen Jahre einen solchen Vergleich  gemacht, doch hat er dabei Löcher 
offen gelassen. Er hat ausgeführt, daß die englischen Dreadnoughts zu den 
deutschen  sich zurzeit wie 1,6:1 verhalten Dieses Verhältnis  ist nach meiner 
Ansicht für die Schl achtflotte akzeptabel daß wir nicht be- 
absichtigen und auch nicht beabsichtigt haben, in Konkurrenz  mit Englang 
zu treten. Es gibt uns ein solches Maß von Macht, daß es schwer ist, 
uns anzugreifen. Dieses Maß wird durch das Flottengesetz erhalten, mehr 
brauchen wir nicht. Es kann nicht davon die Rede sein, daß wir England 
gegenüber aggressiv vorgehen wollen, denn zu einem agressiven Vorgehen 
gehört eine erhebliche Ueberlegenheit. Wir haben stets betont, daß wir eine 
ebenso große Flotte wie die englische nicht anstreben. Die Flotte, die wir 
abei haben, ist durch das Flottengesetz gegeben. Wir haben seinerzeit vor 
Frage gestanden, unserem mächtig aufstrebenden Handel und unserer 
Industrie einen ausreichenden Schutz durch eine genügend starke Flotte zu 
geben oder stets mit dem Hute in der Hand dazustehen. Wir haben den 
ersteren Weg eingeschlagen. Die zurückgestellten Wünsche der Marineverwal- 
tung, von denen ich im vorigen Jahre im Plenum gesprochen habe, be- 
ziehen sich nicht auf eine Vergrößerung der Flotte, sondern den schnelleren 
Ersatz einiger älterer Kreuzer. Auch die erte Novelle bezieht sich weniger 
auf die mäßige Verstärkung der Flotte als darauf, daß unsere Schlachtflotte 
schneller kriegsbereit  gemacht wird. Dies war notwendig geworden durch 
die moderne Entwicklung der Schiffstypen,  Einführung der Funkentelegraphie, Konzentration 
 der Schiffe in der Nordsee u. a. m. Es besteht nicht die 
Absicht über den jetzigen Rahmen des Flotteengesetzes hinauszugehen. Ich 
hoffe, mit diesen Worten eine etwa entstandene Unruhe beseitigt zu haben. — 
Weiter erklärte der Staatssekretär, von einer Bereitwilligkeit Englands, in 
Marineverhandlungen einzutreten, ist hier nichts bekannt. Wir würden 
einen solchen Vorschlag niemals zurückgewiesen haben, wenn wir zu einem 
brauchbaren Abkommen hätten gelangen können. Bis jetzt aber hat das 
Flottengesetz seine Wirkung getan. Aber bei einem formellen Abkommen 
sind Garantien für dessen Durchführung erforderlich. Darin liegt die 
Schwierigkeit. Wenn im übrigen zwei Parteien ein schweres Geschäft ab- 
schließen wollen, das beide befriedigen soll, so darf die eine der anderen 
nicht mit offenen Armen entgegenlaufen. Golce delikaten Sachen müssen 
vorsichtig und klug von Geschäftsmann zu Geschäftsmann verhandelt werden. 
         7. Februar. (Reichstag.) Beratung des Etats für das Reichs- 
amt des Innern (Fortsetzung und Schluß). Wohnungsfürsorge. 
Staatssekretär des Innern Dr. Delbrück: Die Verhandlungen 
in der ebbriion asse haben Anlaß zu Angriffen außerhalb dieses 
Hauses gegeben, zu Angriffen von einer Schwere, wie sie mir eigentlich 
selten vorgekommen sind, die ich nicht verdient habe, zumal man sie gegen 
einen Abwesenden richtete, der gar nicht in der Lage war, den Sachverhalt 
richtigzustellen, Angriffe, die nach meinem Empfinden, will ich sagen, die 
Grenzen einer sachlichen Kritik weit überschritten haben. Bei der Beratung 
des Titels, der uns heute beschäftigt, habe ich im vergangenen Jahre 
folgendes erklärt — ich lege Wert darauf, den Wortlaut noch einmal fest- 
zusteIlen —: „Man hat vornehmlich eine reichsgesetzliche Regelung 
Wohnungswesens gefordert. Nun, ich habe ja über diese Frage schon 
  
  
  
  
  
  
  
 
	        
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