Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

140 Des PDenisthe Reith und seint einjeluen Glieder. (März 18. —21.) 
der Zweiten Kammer vorgenommenen Anderungen von der Ersten 
Kammer endgültig angenommen. Die neue Ordnung tritt mit 
dem 1. April des Jahres in Kraft. 
18. März. (Braunschweig.) Geburt eines Erbprinzen. 
19.—21. März. (Reichstag.) Fortsetzung der zweiten Be- 
ratung des Kolonialetats. 
Zu dem Etat für Deutsch-Ostafrika bemerkt Erzberger (3.): „Ich 
bin wegen meiner letzten Rede zum Kolonialetat scharf angegriffen worden, 
besonders von der alldeutschen Presse. Meine Kritik über die Behandlung 
der Schwarzen auf den Plantagen wurde sogar als Beschimpfung der 
Pflanzer zurückgewiesen. Ich habe von meiner Rede nicht ein Jota 
zurückzunehmen. Meine Angaben stützen sich auf amtliches Material, das 
durchaus zuverlässig ist. In früheren Jahren hat auch die Regierung 
scharf gegen die Pflanzer Stellung genommen. Erinnern Sie sich doch 
der Haltung des Staatssekretärs Dernburg. Er hat hier im Reichs- 
tag festgestellt, wie übel die Eingeborenen auf den Plantagen behandelt 
werden. Die Pflanzer stellen an die Arbeiter geradezu horrende Forde- 
rungen. Dernburg hat selbst festgestellt, daß die Leute, die gegen die 
Arbeiterschutzbestimmungen dort draußen protestieren, gar kein Interesse 
an der Erschließung der Kolonie haben, sondern das sind Leute, die auf 
zwei bis drei Jahre hinausgehen, um Geschäfte zu machen und das er- 
worbene Geld dann wieder in Nizza oder Monte Carlo verlieren. Ich 
weise die Behauptungen der Pflanzer in Ostafrika, als ob ich sie beschimpft 
hätte, mit aller Entschiedenheit zurück. Nun zu einem lustigern RKapitel. 
Ich frage den Staatssekretär: Ist der Erlaß des frühern stellvertretenden 
Gouverneurs von Ostafrika, des Generalleutnants v. Wrochem, über das 
Grüßen noch in Kraft? Dieser Herr v. Wrochem hat sich ja erlaubt, vom 
Reichstag als von einer gemischten Gesellschaft und von einer Rotte zu 
sprechen. (Hört, hört! und Lachen.) Das ist derselbe Herr, der behauptete, 
wir seien dreist und unverschämt, und gegen den der Staatsanwalt 
nicht eingeschritten ist. (Lebhaftes Hört, hört! und Unruhe.) Wenn man 
aber weiß, was dieser Herr in Ostafrika vollbracht hat, so wird man sich 
über seine Anwürfe leicht hinwegsetzen. (Hört, hört!) Er hat im Jahre 
1893 in Ostafrika als stellvertretender Gouverneur einen Hundeerlaß und 
einen Grußerlaß herausgegeben. (Hört, hört! und Heiterkeit.) Der Gruß- 
erlaß ist besonders interessant. Danach sind sämtliche Boys der Europiüer, 
sämtliche Angestellte beim Gouvernement und alle Farbigen, auch Inder, 
Griechen usw. verpflichtet, den Gouverneur und seinen Stellvertreter zu 
grüßen, sowohl im Vorbeigehen, aber auch, wenn die Leute irgendwo sitzen 
oder liegen. In diesem Falle besteht der Gruß im Aufstehen und Annehmen 
einer strammen Haltung. Es fehlt also nur noch: Hand an die Hosennaht. 
Wenn sich die Leute in einem Kaufmannsladen befinden, so müssen sie 
herauskommen und ebenfalls grüßen. (Hört, hört!) Wird dieser Grußerlaß 
heute noch aufrechterhalten? Ein Mann, der den stellvertretenden Gouver- 
neur v. Wrochem nicht kannte und ihn nicht grüßte, wurde von Herrn 
v. Wrochem angefahren: „Sie unverschämter Flegel, warum grüßen Sie 
nicht? Ich bin der stellvertretende Gouverneur und stehe hier an Stelle 
des Kaisers!“ (Heiterkeit.) Als der Mann entgegnete, daß er den Herrn 
noch nicht kenne, da er erst einige Tage dort sei, schrie Herr v. Wrochem 
laut: „Sie sind ein geborener Flegel! Ich werde euch Schweinepack schon 
beibringen, mich zu grüßen! Ihr werdet an mich denken, ihr Flegel!" 
Herr v. Wrochem hat wahrscheinlich gemeint, er habe einen Reichstags-
	        
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