376 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glirder. (August 3.)
vollem Gange. Das Telegramm des Zaren aber war um zwei Uhr nach-
mittags aufgegeben.
Nach Bekanntwerden der russischen Gesamtmobilisation in Berlin
erhielt am Nachmittag des 31. Juli der Kaiserliche Botschafter in Petersburg
den Befehl, der russischen Regierung zu eröffnen, Deutschland habe als
Gegenmaßregel gegen die allgemeine Mobilisierung der russischen Armee
und Flotte den Kriegszustand verkündet, dem die Mobilisation folgen müsse,
wenn Rußland nicht binnen zwölf Stunden seine militärischen Maßnahmen
gegen Deutschland und Oesterreich---Ungarn einstelle und Deutschland davon
in Kenntnis setze.
Gleichzeitig wurde der Kaiserliche Botschafter in Paris an-
gewiesen, von der französischen Regierung binnen 18 Stunden
eine Erklärung zu verlangen, ob sie in einem russisch-deutschen Kriege
neutral bleiben wolle.
Die russische Regierung hat durch ihre die Sicherheit des Reichs
gefährdende Mobilmachung die mühsame Vermittlungsarbeit der europäischen
Staatskanzleien kurz vor dem Erfolge zerschlagen. Die Mobilisierungsmaß-
regeln, über deren Ernst der russischen Regierung von Anfang an keine
Zweifel gelassen wurden, in Verbindung mit ihrer fortgesetzten Ableugnung
zeigen klar, daß Rußland den Krieg wollte. Der Kaiserliche Botschafter in
Petersburg hat die ihm aufgetragene Muteilung an Herrn Ssasonow am
31. Juli um 12 Uhr nachts gemacht. Eine Antwort der russischen Regierung
hierauf hat uns nie erreicht.
Zwei Stunden nach Ablauf der in dieser Mitteilung gestellten Frist
hat der Zar an Seine Majestät den Kaiser telegraphiert: „Ich
habe Dein Telegramm erhalten, Ich verstehe, daß Du gezwungen bist, mobil
zu machen, aber Ich möchte von Dir dieselbe Garantie haben, die Ich
Dir gegeben habe, nämlich, daß diese Maßnahmen nicht Rrieg bedeuten
und daß wir forfahren werden, zu verhandeln, zum Heil unserer beiden
Länder und des allgemeinen Friedens, der unseren Herzen so teuer ist.
Unserer langbewährten Freundschaft muß es mit Gottes Hilfe gelingen,
Biutvergießen zu verhindern. Dringend erwarte Ich voll Vertrauen Deine
ntwort.“
Hierauf hat Seine Majestät der Kaiser geantwortet: „Ich danke Dir
für Dein Telegramm, Ich habe Deiner Regierung gestern den Weg an-
gegeben, durch den allein noch der Krieg vermieden werden kann. Obwohl
Ich um eine Antwort für heute mittag ersucht hatte, hat Mich bis jeß!t
noch kein Telegramm Meines Botschafters mit einer Antwort Deiner
Regierung erreicht. Ich bin daher gezwungen worden, Meine Armee zu
mobilisieren. Eine sofortige klare und unmißverständliche Antwort Deiner
Regierung ist der einzige Weg, um endloses Elend zu vermerden. Bis Ich
diese Antwort erhalten habe, bin Ich zu Meiner Betrübnis nicht in der
Lage, auf den Gegenstand Deines Telegramms einzugehen. Ich muß auf
das ernsteste von Dir verlangen, daß Du unverzüglich Deinen Truppen
den Befehl gibst, unter keinen Umständen auch nur die leiseste Verletzung
unserer Grenzen zu begehen.“
Da die Rußland gestellte Frist verstrichen war, ohne daß eine
Antwort auf unsere Anfrage eingegangen wäre, hat Seine Masestät der
Kaiser und König am 1. August um 5 Uhr p. m. die Mobilmachung des
gesamten deutschen Heeres und der Kaiseruichen Marine befohlen. Der
Kaiserliche Botschafter in Petersburg hatte inzwischen den Auftrag erhalten.
falls die russische Regierung innerhalb der ihr gestellten Frist keine be-
friedigende Antwort erteilen würde, ihr zu erklären, daß wir nach Ablehnung
unserer Forderung uns als im Kriegszustand befindlich betrachten. Ehe jedoch