Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

Das Dentsqhe Reith und seine einzeluen Glieder. (August 3.) 377 
eine Meldung über die Ausführung dieses Auftrages einlief, überschritten 
russische Truppen, und zwar schon am Nachmittag des 1. August, also 
desselben Nachmittags, an dem das eben erwähnte Telegramm des Zaren 
abgesandt war, unsere Grenze und rückten auf deutschem Gebiet vor. 
Hiermit hat Rußland den Krieg gegen uns begonnen. 
Inzwischen hatte der Kaiserliche Botschafter in Paris die ihm befohlene 
Anfrage an das französische Kabinett am 31. Juli um 7 Uhr nachmittags 
gestellt. Der französische Ministerpräsident hat darauf am 1. August um 
1 Uhr nachmittags eine zweidentige und unbefriedigende Antwort erteilt, 
die über die Stellungnahme Frankreichs kein klares Bild gibt, da er sich 
darauf beschränkte, zu erklären, Frankreich würde das tun, was seine Interessen 
ihm geböten. Wenige Stunden darauf, um 5 Uhr nachmittags wurde die 
Mobilisierung der gesamten französischen Armee und Flotte angeordnet. 
Am Morgen des nächsten Tages eröffnete Frankreich die Feindseligkeiten. 
Aus den der Denkschrift beigegebenen Aktenstücken sind folgende 
hervorzuheben (die Aktenstücke zum österreichisch-serbischen Konflikt s. unter 
Oesterreich--Ungarn; die inhaltlich in der Denkschrift bereits erwähnten 
Telegramme der Botschafter an den Reichskanzler u. dergl. sind hier nicht 
besonders aufgeführt): 
Der Militärbevollmächtigte in Petersburg an Kaiser 
Wilhelm (30. Juli): „Gestern sagte mir Fürst Trubetzki, nachdem er 
veranlaßt hatte, daß Eurer Majestät Telegramm an RKaiser Nikolaus sofort 
übermittelt würde: Gottlob, daß ein Telegramm Ihres Raisers gekommen ist. 
Er sagte mir nun soeben, das Telegramm hätte auf den Raiser tiefen 
Eindruck gemacht, aber da die Mobilisierung gegen Oesterreich befohlen 
gewesen und Ssasonow Seine Majestät wohl davon überzeugt hätte, daß 
es nicht mehr möglich sei, zurückzuweichen, so könne Seine Majestät leider 
nichts mehr ändern. Ich sagte ihm darauf, die Schuld an den unabsehbaren 
Folgen trage die frühzeitige Mobilisierung gegen das doch nur in einen 
lokalen Krieg mit Serbien verwickelte Oesterreich-Ungarn, denn Deutschlands 
Antwort darauf sei wohl klar, und die Verantortung fiele auf Rußland, 
welches Oesterreich-Ungarns Zusicherung, daß es territoriale Erwerbungen 
in Serbien in keiner Weise beabsichtige, ignoriert habe. Oesterreich-Ungarn. 
habe gegen Serbien und nicht gegen Rußland mobilisiert, und zum so- 
sortigen Eingreifen sei kein Grund für Rußland. Ich fügte des weiteren hinzu, 
daß man in Deutschland die Redensart Rußlands Mir können unsere 
Brüder in Serbien nicht im Stich lassen“ nach dem furchtbaren Verbrechen 
von Serajewo nicht mehr verstehe. Ich sagte ihm schließlich, er möge, 
wenn Deutschlands Streitmacht mobilisiert werde, sich nicht wundern.“ 
Telegrammwechsel zwischen Kaiser Wilhelm und dem Zaren (s. auch 
die Denkschrift). 
1. Der Kaiser an den Zaren (28. Juli 10½ abends): „Mit 
der größten Beunruhigung höre ich von dem Eindruck, den Oesterreich- 
Ungarns Vorgehen gegen Serbien in Deinem Reiche hervorruft. Die 
skrupellose Agitation, die seit Jahren in Serbien getrieben worden ist, hat 
zu dem empörenden Verbrechen geführt, dessen Opfer Erzherzog Franz 
Ferdinand geworden ist. Der Geist, der die Serben ihren eigenen König 
und seine Gemahlin morden ließ, herrscht heute noch in jenem Lande. 
Zweifellos wirst Du mit Mir darin übereinstimmen, daß wir beide, Du 
und Ich sowohl als alle Souveräne ein gemeinsames Interesse daran haben, 
darauf zu bestehen, daß alle diejenigen, die für den scheußlichen Mord 
moralisch verantwortlich sind, ihre verdiente Strafe erleiden. Andererseits 
übersehe Ich keineswegs, wie schwierig es für Dich und Deine Regierung ist, 
den Strömungen der öffentlichen Meinung entgegenzutreten. Eingedenk der
	        
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