96 Bie österreichisch-angarische Monarchie und die Aacfelgestaaten. (Okt. 30.— Nov. 1.)
die Hand genommen. Das Volk hat sich in Bewegung gesetzt, und dies ist
das ungeheure Ergebnis dieser Bewegung. Die Machthaber Ungarns haben
die politische und militärische Gewalt des Landes dem im Ung. National-
rat organisierten ungarischen Volk übergeben. Die gesamte militärische und
bürgerliche Gewalt Ungarns ist in der Hand des Präsidenten des National-
rates Grafen Michael Karolyi. Der Ung. Nationalrat begrüßt anläßlich
dieser Siege das Volk Ungarns, und die ung. Demokratie bittet im heiligen
Namen des Weltfriedens das Volk des Landes, wieder zur Arbeit zurück-
zukehren. Der große Streik hat in sehr kurzer Zeit sein Ziel erreicht. Zu
einer weiteren Arbeitseinstellung liegt keine Notwendigkeit vor. Soldaten,
kehrt in Eure Kasernen zurück und wartet dort die Weisung der ung. Volks-
regierung ab, welche Euch das Recht und den Frieden bringen wird. Der
Nationalrat ist verantwortlich für das Vermögen der ung. Nation. Jeder-
mann enthalte sich der Ruhestörung. Der Nationalrat erwartet vom Volke
Ungarns Würde und Ruhe.
Im Laufe des Tages bildet Graf Karolyi folgendes Ministerium,
das vom König genehmigt wird und abends dem Erzherzog Joseph als dem
Beauftragten des Königs den Treueid leistet: Ministerpräsidium und prov
Finanz: Graf Karolyi, Inneres: Graf Theodor Batthyany, Kultus
und Unterricht: Dr. Martin Lovaszy, Ackerbau und prov. Justiz: Bar-
nabas Buza, Volksernährung: Franz Nagy, Handel: Ernest Garami
(Soz.), Arbeit und Volkswohlfahrt: Dr. Sigmund Kunfi (Soz.), Minister
ohne Portefeuille: Oskar Jaszi (Rad.), Krieg: Leutnant Bela Linder.
Staatssekretär im Finanzministerium: Szende. Am 4. Nov. wird Dr. Dio-
nysius Berinkey zum Justizminister ernannt.
. Der Ministerrat, der sofort zusammentritt, um die allerdringendsten
staatlichen Aufgaben sowie die zur Aufrechterhaltung der inneren Ruhe und
Ordnung notwendigen Maßnahmen zu beraten, erläßt noch am Abend eine
Proklamation, in der es heißt: Die erste Volksregierung Ungarns ist
gebildet und hat die Leitung der Angelegenheiten des Landes übernommen.
Ihre erste und dringendste Aufgabe wird der Abschluß des Friedens sein.
Es wird alles sofort geschehen, damit hinnen wenigen Tagen der Waffen—
stillstand zustande komme und die Soldaten heimkehren können. Wir ver-
trauen darauf, daß wir in kurzer Zeit das Volk aus den Qualen des
Krieges herausführen werden, und wir hoffen, daß es gelingen wird, die
territoriale Integrität des Landes zu retten. Die vollständige staatliche
Unabhängigkeit Ungarns ist gesichert und sein eigener Minister des Aeußern
wird auch ernannt werden. Wir sind frei und als freie Nation reichen
wir die brüderliche Hand den in unserem Vaterlande lebenden übrigen
Nationen und sämtlichen freien Völkern der Welt. Wir tun alles zur Siche-
rung und Organisierung des erfochtenen Volksregimes. Wir werden die
Preßfreiheit, das Geschwornengericht, das Versammlungs= und Vereinsrecht
wiederherstellen. Wir proklamieren militärische und zivile Amnestie. Wir
werden sämtliche Internierten heimkehren lassen. Wir werden eine Gesetzes-
vorlage über das allgemeine, gleiche, geheime und gemeindeweise auch auf
Frauen sich erstreckende Wahlrecht zum Abgeordnetenhause und zu den Muni-
zipal- und Gemeindewahlen und einen Gesetzentwurf über die gerechte und
gleiche Teilung der Wahlbezirke dringend unterbreiten. Wir werden alles
mögliche tun, um für unsere heimkehrenden Soldaten und für die unglück-
lichen Opfer des Krieges zu sorgen. Wir beginnen mit den sozialpolitischen
und Arbeiterschutzmaßnahmen und mit der Verwirklichung einer kräftigen
Grundbesitzpolitik, die den großen Massen des Volkes zum Landbesitze ver-
hilft. Sollte das jetzige Abgeordnetenhaus einen einzigen Punkt unseres
Programms nicht annehmen, so werden wir es auflösen und uns an die