Bie ssterreichischungarische Monarchie und die Nachfolgestaaten. (Nov. 16.) 111
der Entente wird jedoch, nachdem die für den Abzug der deutschen Truppen
aus Ungarn vorgesehene Frist am 19. Nov. abgelaufen ist, ihre Entwaffnung
und Internierung gefordert. (S. ferner S. 119.)
16. Nov. (Ungarn.) Zusammentritt der Nationalversammlung,
Ausrufung der Republik.
Nachdem das Abg.-Haus in einer kurzen Sitzung beschlossen hat,
seine Auflösung auszusprechen, und das Magnatenhaus daraufhin be-
schlossen hat, seine Beratungen zu schließen, tritt im Parlamentsgebäude
die aus dem Nationalrat und Vertretern der Provinzialnationalräte gebildete
Nationalversammlung zusammen. Der Präsident des Nationalrates,
Pfarrer Hock, eröffnet die Sitzung mit einer längeren Ansprache, worin
er die 400jährige Knechtschaft geißelt, die Ungarn unter der Herrschaft der
Habsburger hätte ertragen müssen. Nun wolle Ungarn eine freie, unab-
hängige Republik werden, die sich losreiße von dem deutschen Bündnis und
der Gemeinsamkeit mit Oesterreich. Es sei dies nicht die erste Trennung,
aber, so schwöre er, die letzte.
Hierauf unterbreitet Schriftführer Georg Nagy folgenden Beschluß-
antrag: Die Ung. Nationalversammlung hat heute einstimmig folgenden
Beschlußantrag angenommen: „Der Ung. Nationalrat hat aus dem Willen des
Volkes folgenden Volksbeschluß gefaßt: Art. I. Ungarn ist eine von allen anderen
Ländern unabhängige und selbständige Volksrepublik. Art. II. Die Verfassung
der Volksrepublik wird von einer auf Grund des neuen Wahlrechtes dringendst
einzuberufenden verfassunggebenden Nationalversammlung festgestellt werden.
Das Abgeordnetenhaus und das Magnatenhaus des ung. Reichstages sind
aufgelöst und haben aufgehört zu bestehen. Art. III. Solange die verfassung-
gebende Nationalversammlung nicht anders entscheidet, wird die oberste
Staatsgewalt von der unter dem Präsidium Michael Karolyis stehenden
Volksregierung mit Unterstützung des Vollzugsausschusses des Ung. National-
rates ausgeübt. Art. IV. Die Volksregierung hat dringende Volksgesetze zu
schaffen: 1. betr. das allgemeine, geheime, gleiche, unmittelbar auszuübende
und auch auf die Frauen sich erstreckende Wahlrecht in die Nationalver--
sammlung, in die Munizipien und Gemeinden, 2. betr. die Preßfreiheit,
3. betr. die Volksschwurgerichtsbarkeit, 4. betr. die Vereins- und Versammlungs-
freiheit, 5. betr. die Bodenbeteilung des ackerbautreibenden Volkes. Die
Volksregierung hat diese Gesetze dringend ins Leben zu rufen und durch-
zuführen. Art. V. Die mit dem Vorstehenden in Widerspruch befindlichen
gesetzlichen Bestimmungen verlieren ihre Gültigkeit. Alle übrigen gesetzlichen
Bestimmungen bleiben in Kraft.“
Dieser Beschlußantrag gelangt punktweise zur Abstimmung und wird
einstimmig angenommen.
Hierauf ergreift Ministerpräsident Graf Karolyi das Wort und teilt
mit, daß der Nationalrat einen Funkspruch an alle zivilisierten
Nationen verschickt habe, worin es heiße: Der Ung. Nationalrat habe in
feierlichem einstimmigen Beschluß ausgesprochen, daß Ungarn sich als Republik
erkläre. Es sei der Wunsch des ung. Volkes, mit allen andern Völkern in
Frieden und brüderlicher Liebe zu leben. Ungarn habe niemals eine er-
obernde, imperialistische Politik verfolgt. In dem Kampf mit dem österr.=
ung. Kaiserhause sei die Nation zunächst unterlegen, habe aber jetzt die
letzten Wurzeln des verderblichen „Ausgleichs“ ausgerissen. Das Werk der
Revolution sei durch die Ausrufung der Republik gekrönt. Diese wolle in.
der Gesellschaft der Nationen als würdiges und geschätztes Mitglied leben;
sie bitte im Namen der ewigen Solidarität der Demokratie alle freien
Völker der Welt, sie in der schweren Arbeit des neuen Aufbaues zu unter-