Großbritannien. (Jan. 5.) 145
schlag auf seine Unabhängigkeit zu schützen. Es ist dies ein ehrenvolles Opfer,
das nicht allein Rußland, sondern auch Frankreich in den Krieg zog. Frank-
reich, treu den Bedingungen seines Vertrages mit Rußland, trat in einem
Streit, der nicht seine Sache war, an die Seite seines Verbündeten. Seine
ritterliche Haltung für seinen Vertrag führte zu dem willkürlichen Einfall
in Belgien, und die Vertragsverpflichtungen Großbritanniens gegenüber
diesem kleinen Land zogen uns in den Krieg. Rußland ist nunmehr dabei,
ohne Verbindung mit den Ländern, die es in den Krieg gezogen hat,
Sonderverhandlungen mit dem gemeinschaftlichen Feinde zu führen. Ich
mache keine Vorwürfe, ich führe lediglich Tatsachen an, in der Absicht,
klar zu machen, warum Großbritannien nicht verantwortlich ist für Ent-
schließungen, die in seiner Abwesenheit getroffen wurden, über die man
sich mit uns nicht beraten hat oder für die man nicht unseren Beistand
aufgesucht hat. Niemand, der Preußen und seine Absichten auf Rußland
kennt, kann einen Augenblick über seine letzten Absichten im Zweifel sein.
Was für Phrasen es auch immer gebrauchen mag, um Rußland einzuwickeln,
es liegt nicht in seiner Absicht, eine der Provinzen und Städte Rußlands,
die es jetzt besetzt hält, zurückzugeben. Unter dem einen oder anderen Namen,
welcher ist ja gleichgültig, werden diese russ. Provinzen künftig in Wirklich-
keit Teile eines preuß. Reiches bilden. Sie werden durch das deutsche Schwert
im Interesse der preuß. Autokratie beherrscht werden, und das übrige Volk
Rußlands wird teils durch blendende Worte verlockt, teils durch Drohungen
über die Fortsetzung des Krieges gegen eine machtlose Armee in einen Zu-
stand vollständiger wirtschaftlicher und später auch politischer Sklaverei gegen-
über Deutschland getrieben werden. Wir alle bedauern diese Aussicht. Die
Demokratie Englands beabsichtigt, bis zum letzten den Demokratien Frank-
reichs und Italiens und aller seiner Verbündeten beizustehen. Wir werden
stolz sein, bis zum Ende weiter an der Seite der neuen Demokratie Ruß-
lands zu kämpfen. Dasselbe wollen Amerika, Frankreich und Italien. Aber
weun die gegenwärtigen Machthaber Rußlands unabhängig von ihren Ver-
bündeten etwas unternehmen, so haben wir keine Mittel, einzuschreiten, um
die Katastrophe aufzuhalten, der ihr Land sicherlich verfallen ist. Rußland
kann nur durch sein eigenes Volk gerettet werden. Wir glauben, daß ein
unabhängiges Polen, das alle wahrhaft poln. Elemente umfaßt, die wün-
schen, einen Teil davon zu bilden, eine dringende Notwendigkeit für das
Gleichgewicht in Europa ist.
In gleicher Weise und obwohl ich mit Wilson übereinstimme, daß die
Auflösung Oesterreich-Ungarns kein Teil unserer Kriegsziele ist, bin
ich der Meinung, daß, wenn nicht eine Selbstregierung auf Grund wirk-
licher demokratischer Grundsätze den österr. und ung. Nationen gewährt wird,
die dieses so lange gewünscht haben, es unmöglich ist, auf eine Beseitigung
jener Ursachen in jenem Teil Europas, die so lange seinen allgemeinen
Frieden bedroht haben, zu hoffen. Aus denselben Gründen betrachten wir
die Befriedigung des natürlichen Anspruches der Italiener auf Vereinigung
mit dem Volke gleicher Rasse und Sprache als notwendig. Ebenso beabsich-
tigen wir, darauf zu dringen, daß den Angehörigen rumän. Blutes und
rumän. Sprache in ihren berechtigten Bestrebungen Gerechtigkeit getan werde.
Wenn diese Bedingungen erfüllt werden, würde Oesterreich-Ungarn eine
Macht werden, deren Stärke dem Frieden und der Freiheit in Europa
förderlich wäre, anstatt lediglich ein Werkzeug der verderblichen militärischen
Autokratie Deutschlands zu sein, das die Hilfsquellen seiner Verbündeten
zur Förderung seiner eigenen dunklen Ziele benützt.
Wir glauben, daß außerhalb Europas dieselben Grundsätze zur An-
wendung kommen sollen. Während wir keineswegs die Aufrechterhaltung,
Europäischer Geschichtskalender. LIX# 10