Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Diesterreichis#zungerisce Monarg#ie und die Macfolzeaten. (Jan.30.—Febr.5.) 13 
31. Jan. (Ung. Abg.-Haus.) Regierungsprogramm, Neu- 
bildung der Regierungspartei. 
Ministerpräsident Dr. Wekerle entwickelt das Programm der neuen 
Regierung. Im Eingang erörtert er die inneren Reformen, die in bezug 
auf die Ausdehnung des Wahlrechts, das Gesundheitswesen, die Verwaltung 
sowie die Förderung der Industrie vorzunehmen seien. Sodann legt er den 
Stand. der Friedensverhandlungen dar und geht dann auf die Finanzlage 
über. Betr. das Steuerprogramm kündigt er eine Vermögenssteuer an, 
durch welche allmählich eine Verminderung des Banknotenumlaufes be- 
wirkt werden solle. Was eine selbständige Armee betreffe, so billige der 
König diese Bestrebungen, die in der Friedenszeit auch durchgeführt werden 
würden. Schließlich richtet der Ministerpräsident an alle Parteien die Mah- 
nung, die staatsrechtlichen Gegensätze, die bisher ein Hindernis gewesen seien, 
fallen zu lassen und zur gemeinsamen Arbeit alle Kräfte zu vereinigen. 
Hierauf ergreift Graf Tisza als Führer der Opposition das Wort 
und versichert dem Ministerpräsidenten, daß die großen Gesichtspunkte seines 
Programms volle Würdigung seitens der Opposition fänden. Wenn er dem 
Programm nicht im ganzen zustimmen könne, so läge es daran, daß die 
unglückselige Wahlreform auf die Tagesordnung gestellt wurde. Gegen diese 
Reform hege er schwere Bedenken. Er wünsche, daß die Frage der Wahl- 
reform mittels ehrlichen Kompromisses gelöst werde. Solange dies nicht 
geschehe, verharrten er und seine Freunde weiter in oppositioneller Haltung. 
Sie unterstützten die Regierung namentlich in allen nationalen Fragen. 
Er bitte jedoch den Ministerpräsidenten, daß er durch eine Verschärfung 
der strittigen Fragen die Lage für die Opposition nicht unmöglich mache. 
— Graf Apponyi erklärt jedoch namens der Regierung, daß diese in be- 
zug auf die Wahlreform den Weg des Kompromisses nicht betreten könne. 
Als praktisches Ergebnis der Regierungserklärung kommt es zur 
Bildung einer neuen Regierungspartei. Am 1. Febr. beschließen die 
unter Führung des Grafen Andrassy stehende Verfassungspartei und die 
unter Führung des Grafen Apponyi stehende Vereinigte Unabhängigkeits- 
und Achtundvierzigerpartei ihre Auflösung und ihren korporativen Beitritt 
in die auf Grund des vom Ministerpräsidenten verkündigten Programms 
zu bildende neue Regierungspartei. Am 3. sprechen sich auch die Demo- 
kratenpartei und die Volkspartei für den Anschluß an die neue Regierungs- 
partei aus. Führer der neuen (etwa 130 Mitglieder zählenden) Partei, die 
den Namen „48er Verfassungspartei“ annimmt, bleibt Ministerpräsident 
Dr. Wekerle, Präsident wird Graf Julius Andrassy. Von der die 
Majorität (280) des Abg.-Hauses bildenden Nat. Arbeitspartei tritt jedoch 
kein Mitglied bei. 
Am 7. legt Graf Julius Andrassy im ung. Abg.-Hause die Be- 
weggründe dar, die zum Zusammenschluß kleinerer Parteien geführt haben. 
Eine starke einheitliche Regierung sei dringend notwendig. Die auswärtige 
Lage erfordere den Zusammenschluß im Innern und die Befriedigung der 
Massen. — Graf Michael Karolyi widerspricht der Parteigründung, von 
der seine Partei wegen der ihm nicht weit genug gehenden Wahlreform, 
wegen der äußeren Politik und des Anschlusses an Deutschland sich fern- 
halie. — Ministerpräsident Dr. Wekerle tritt dem Grafen Karolyi in 
längeren Ausführungen entgegen und betont die Notwendigkeit des Bünd- 
nisses mit Deutschland. 
5. Febr. (Osterr. Abg.-Haus.) Beginn der zweiten Lesung des 
Staatsvoranschlages 1917/18 (s. Gesch Kal. 1917 Tl. 2 S. 180).
	        
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